Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Himmlerbrief

Jahrelang galt er in der frühen Bundesrepublik als "Historikerpapst". Die Rede ist von Gerhard Ritter (1888-1967), der schon in der Weimarer Republikzeit eine Professur innehatte, diese auch im Naziregime (fast) ungebrochen fortsetzen konnte. Das "fast" bezieht sich auf die Jahre 1944/45, wo er im Zusammenhang mit den Anstrengungen der Nazibehörden, die Hintergründe des 20. Juli 1944 detailliert auszuleuchten, auch in deren Fadenkreuz geriet. Immerhin hatte Ritter diese Phase seiner Biographie lebend überstanden und konnte nach 1945 ungebrochen, seine universitäre Laufbahn fortsetzen.

Er ist schon vielfach zitiert worden der Himmlerbrief, (etwa von Friedrich Zipfel und andere, einschließlich der WTG), wo er sich darüber verbreitete, die Bibelforscher/Zeugen Jehovas als "zukünftiges" Pazifierungswerkzeug auf die Bewohner der Sowjetunion anzusetzen. Himmlers "Wehrbauerhöfe" bestückt mit Zeugen Jehovas wurden so keine Realität mehr. Aber die "Pazifizierung der Russen" im Himmler'schen Sinne, hat es als Treppenwitz der Geschichte doch noch gegeben. Der Verkäufer der Sowjetunion, Gorbatschow, sorgte dafür, dass dies, wenn auch spät noch möglich wurde.

Zipfels Buch, mit dem Himmlerbrief im Dokumenteil, erschien 1965. Andere die das auch zitiert haben dann noch später. Vielfach übersehen indes ist der Tatbestand, dass Ritter bereits im Jahre 1954 dieses Dokument erstmals publizierte. In Heft 3/1954 der Zeitschrift "Geschichte in Wissenschaft und Unterricht". Seinen Ausführungen gab er die Überschrift "Wunschträume Heinrich Himmlers am 21. Juli 1944". Er teilt mit, dass er bei der Sichtung des Nachlasses von Himmler, der im unter amerikanischer Verwaltung stehenden "Document Center" in Westberlin aufbewahrt wurde, und für die deutschen Forschern in nicht seltenen Fällen der Zugang verweigert wurde; daher Ritter eher ein Ausnahmefall ist. Das er dort auf jenes Dokument stieß. Bei seiner ausführlicheren Publizierung fügte Ritter auch noch ein paar ergänzende Anmerkungen mit hinzu, die so von Zipfel (der nur gekürzt zitiert hat) und Nachfolger nicht mit übernommen wurden. Auch unter diesem Gesichtspunkt verdient die Ritter'sche Edition noch heute ihre Beachtung. Nachstehend einige wesentliche Ausführungen daraus:

Auf der Suche nach Materialien zur Geschichte des 20. Juli 1944 stieß ich, halb zufällig, unter diesen Papieren auf einen Brief Heinrich Himmlers an Dr. Kaltenbrunner, dem Gestapo-Chef und Organisator der Gestapo-Kommission zur Untersuchung des Aufstandsversuches, datiert 21. Juli 1944, also einen Tag nach dem Attentat.

Am 28. 7. erhielten verschiedene Dienststellen einen Durchschlag des hiernach mundierten, aber weiterhin auf 21. 7. datierten Schreibens nebst kurzen Begleitschreiben des Adjutanten "mit der Bitte um Kenntnisnahme".

Das Übersendungsschreiben an Kaltenbrunner enthält den Vermerk: "Eine Abschrift in großer Maschienenschrift ohne den Punkt 6 wurde für den Führer angefertigt."

Der Reichsführer SS

Feldkommandostelle, 21. 7. 44

Lieber Kaltenbrunner

Mehrere Vorgänge und Probleme haben mich in der letzten Zeit zu folgenden Erwägungen und zu den unten beschriebenen Absichten geführt:

Die Probleme sind das der Bibelforscher, die Kosakenfrage und in Berührung damit die Wlassow-Frage, sowie der Gesamtkomplex, wie wollen wir Rußland wenn wir - was im Laufe der nächsten Jahre bestimmt erfolgen wird - große Flächen und Teile von ihm wieder erobern, dann beherrschen und befrieden?

1. Ich bin der Überzeugung, daß Stalin und auch sein Nachfolger, falls er bolschewistisch ist, vom Kolchos-System nicht abgehen kann … Wenn nun Stalin und der Bolschewismus vom Kolchossystem nicht abgehen können, wird jeder selbstständiger Bauer ein naturgegebener Feind von ihm sein …

2. Wir müssen vor dem deutschen Ostwall, den wir einmal errichten werden, entsprechend den großen Vorbildern der K.- und K.-Militärgrenze und dem russischen Vorbild der Kosakenbauern und Soldatenbewegung eine Ostwehrgrenze (mit?) einem Neukosakentum schaffen. Grund und Boden und volle selbständige Existenz und Freiheit wird es für die ukrainische und russische Bevölkerung nach unserem Statut nur an der Kosakengrenze geben.

Hier wird es volle Bauernhöfe geben mit der Bedingung, vom 16. bis zum 60. Lebensjahr Grenzsoldatendienst gegen den Osten zu leisten …

3. … Wir müssen aber noch mehr tun, um das Volk im Hinterland in eine friedliche und uns gegenüber waffenlose Form zu bringen. Jeder Gedanke, eine nationalsozialistische Form einzuführen, ist Wahnsinn. Eine Religion oder Weltanschauung müssen die Menschen haben. Die orthodoxe Kirche zu unterstützen und wieder aufleben zu lassen, wäre falsch, da sie immer wieder die Organisation der nationalen Sammlung sein wird. Die katholische Kirche hereinzulassen, wäre mindestens ebenso falsch; darüber zu sprechen erübrigt sich.

4. Es muß von uns jede Religionsform und Sekte unterstützt werden, die pazifizierend wirkt. Dabei kommt in Frage bei allen Turk-Völkern die Einführung der buddhistische Glaubenslehre, bei allen anderen Völkern die Lehre der Bibelforscher.

5. Die Bibelforscher haben, wie ihnen wohl bekannt sein wird, folgende für uns unerhörte positive Eigenschaften: Mit Ausnahme des Kriegsdienstes und der Arbeit für den Krieg, des Einsatzes für irgendeine - wie sie es bezeichnen - "abbauende" Betätigung, sind sie schärfstens gegen die Juden und gegen die katholische Kirche und den Papst. Sie sind unerhört nüchtern, trinken und rauchen nicht, sind von unerhörtem Fleiß und großer Ehrlichkeit; halten das gegebene Wort, sind ausgezeichnete Viehzüchter und Landarbeiter, sind nicht auf Reichtum und Wohlhabenheit aus, weil ihnen das für das ewige Leben schadet. Insgesamt alles ideale Eigenschaften, wie überhaupt festzustellen ist, daß der Kern der überzeugten, idealistischen Bibelforscher ähnlich wie die Mennoniten beneidenswert gute Eigenschaften hat.

6. Aus diesem Grunde wünsche ich, daß die Bibelforscher in unseren Lagern durch Prüfungskommissionen aus von uns (als) bekannten Bibelforschern überprüft werden, damit alle diejenigen, die sich erst im Lager oder kurz vor ihrer Verhaftung aus Zweckmäßigkeitsgründen als Bibelforscher bekannt haben, ausgeschieden werden.

Dadurch werden alle Fälle von kommunistischer Ausnützung der Bibelforschereigenschaften oder von faulen sogenannten Bibelforschern, die ich da oder dort auf Bauernhöfen erlebt habe, z. B. in Fridolfing-Obb., nicht mehr vorkommen. Es ist damit auch die Möglichkeit gegeben, die echten Bibelforscher in den KL in allen Vertrauensstellungen, die einer geldlichen oder sonst materiellen Belastung ausgesetzt sind, zu verwenden und besonders gut zu behandeln. Damit wieder schaffen wir uns die Ausgangsbasis zum Einsatz dieser Bibelforscher in Rußland in kommenden Zeiten und haben damit die Emissäre mit denen wir das russische Volk durch die Verbreitung der Bibelforscherlehre pazifizieren können.

Heil Hitler. Ihr H. Himmler

Dazu merkt Ritter dann noch an:

Ein Kommentar ist kaum nötig. Die "Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher" eine radikal-pazifistische Sekte mit sozialistisch-kommunistischem Einschlag ist amerikanischen Ursprungs. Sie lebt ganz von der Erwartung des nahen Weltendes, besitzt eine sehr primitive judaisierende Theologie und läßt die ethisch-charitativen Züge des Christentums stark zurücktreten. Patriotismus gilt hier als "Teufelswerk".

Ihre deutschen Anhänger wurden seit 1933 wohl alle eingesperrt, in Konzentrationslagern und Gefängnissen. Ich bin dort 1944 "Bibelforschern" begegnet, die schon seit 11 Jahren in Haft saßen, ohne daß sich ihr religiöser Fanatismus und Missionseifer in geringstem vermindert hätte.

Man traut zunächst seinen Augen nicht, wenn man hier liest, daß diese Leute nach allen ihren Erlebnissen als Missionare im Dienst des "Dritten Reiches" eingesetzt werden sollen … Schon während des Krieges (etwa 1943) erfuhr ich durch einen befreundeten Kollegen, der im Feldquartier der Armee als Generalstabsoffizier tätig war, von gesprächsweisen Äußerungen Himmlers, in denen ebenfalls die Rede davon war, dem russischen Sklavenvolk der Zukunft müsse eine pazifistische Religion beigebracht werden, die es lehre, jede Berührung einer Waffe als Verunreingung zu betrachten und mit Vorliebe Hirse (statt Weizen) zu essen. Die Nachricht war sehr gut bezeugt, aber man hörte sie nicht ohne Mißtrauen an: es klang wie bloßes Stabsgerede. Heute erscheint sie als völlig zuverlässig.

Himmler stammte, wie man weiß, aus einer gut katholischen Familie Münchens und hat in seiner Jugend lange Zeit als Ministrant bei der Messe gedient. Je strenger diese Bindung gewesen war, um so wilder war später der Haß des Renegaten gegen das Christentum. Der Weg seiner geistigen Entwicklung führte über den Rassenmythos der Ludendorff und Rosenberg zu einer Haltung, die ihn zuletzt - ähnlich wie einst Jan Bockelsohn (in Münster) - als Ministranten des Satans erscheinen läßt.

Auch bei inhaftierten Zeugen Jehovas hatten sich zeitgenössisch, die Perspektivischen Himmlerpläne schon  herumgesprochen. Ein Beleg dafür auch die Erinnerungen von Hubert Mattischek, der laut A. L. Hillinger „Kraft, die über das Normale hinausgeht“ S. 48f.) notierte:

„Gerüchteweise erfuhr man auch vom Geheimplan Himmlers, nach Kriegsende die Zeugen in slawischen Gebieten anzusiedeln. Erstens, um die Slawen zur Arbeitsamkeit anzuregen; zweitens sie zum Pazifismus anzureizen.“

Offenbar gab es zu dem Himmler-Schreiben vom 20. 7. 1944 noch zwei Vorläufer-Schreiben, die man mit in die Betrachtung einbeziehen muss. Nachstehend ihre Dokumentation Zitiert sei in diesem Zusammenhang auch noch das nachfolgende bei Hesse/Harder („Und wenn ich lebenslang …„ S. 71f.) in Faksimile wiedergegebene Schreiben:

Der Reichsführer-SS

RF/Dr. I 37/43 Bd 5

Feld-Kommandostelle, 6. Januar 1943

G e h e i m!

Lieber P o h l!

Lieber Müller!

Anliegend ein Vorgang über die 10 Bibelforscherinnen, die auf dem Gut meines Arztes K e r s t e n arbeiten. Ich. habe die Gelegenheit, dort die Frage der ernsten Bibelforscher von allen Seiten zu studieren. Mir wurde von Frau Kersten ein sehr guter Vorschlag gemacht. Sie sagte mir, dass sie noch nie ein so gutes, williges, treues und gehorsames Arbeitspersonal hatte wie diese 10 Frauen.

Aus Liebe und Güte tun diese Menschen sehr viel. Interessanterweise verdunkeln sie dort nicht deswegen, weil sie den Krieg unterstützen wollen, sondern deswegen, weil zwei unmündige Kinder da sind, denen dadurch etwas passieren konnte, und die noch nicht bekehrt seien. Jehova hätte ihnen aber den Auftrag gegeben, auf das Leben dieser Kinder aufzupassen. Sie halten, sich streng an ihr gegebenes Wort. Sie gaben alle Frau Kersten das Wort, mit keinem Menschen über ihre Bibelforscherlehre zu sprechen. Einzelne Fälle, wo lediglich Leute, die auf den Hof kamen und sie einmal fragten, was für eine Lehre das denn wäre, beweisen klar, dass sie ihr Wort halten. Sie sagten: „Wir haben versprochen, darüber nicht zu reden." -

Eine Ihnen zum Lesen gegebene Zeitung, wiesen die Frauen zurück, denn im Lager wäre verboten Zeitungen zu lesen und sie hätten sich an diese Gebote zu halten, denn auch diese stammten von Jehova. -

Eine der Frauen bekam einmal RM 5.— Trinkgeld von einen Gast. Sie nahm das Geld an um das Haus nicht zu blamieren, lieferte es aber bei Frau Kersten ab, weil der Besitz von Geld im Lager verboten wäre. Die Frauen übernehmen dort freiwillig jede Arbeit. Am Abend stricken sie; Sonntags sind sie ebenfalls in irgend einer Form tätig.

Im Sommer haben sie, bei 1o-, 11- und 12-stündiger Arbeit, als Pilze im Walde zu finden waren, es sich nicht nehmen lassen, zwei Stunden früher aufzustehen, um Körbe voll Pilze zu sammeln. Insgesamt ergänzen diese Tatsachen mein Bild, das ich von diesen Bibelforschern habe.

Es sind unerhört fanatische, opferbereite und willige Menschen. Könnte man ihren Fanatismus für Deutschland einspannen oder insgesamt für die Nation im Kriege einen derartigen Fanatismus beim Volk erzeugen, so wären wir noch stärker als wir heute sind. Natürlich ist die Lehre dadurch, dass sie den Krieg ablehnt, derartig schädlich, dass wir sie nicht zulassen können, wenn wir nicht den größten Schaden für Deutschland haben wollen.

Interessant ist, dass sie Juden, Papst und katholische Kirche fanatisch ablehnen und bekämpfen.

Strafen verfangen bei ihnen gar nicht, da sie mit Begeisterung von jeder Strafe erzählen. Sie nehmen uns die Strafen nicht übel, da wir nach ihrer Ansicht von Jehova ja unsere Aufträge haben und sie durchführen müssen. Jede Strafe ist für sie ein Verdienst im Jenseits. Deshalb wird sich jeder echte Bibelforscher und jede echte Bibelforscherin, unter Hintansetzung aller persönlichen Gefühle - Liebe zu Frau und Kind oder Liebe zu Mann und Kind - ohne weiteres hinrichten lassen und ohne weiteres sterben. Jeder Dunkelarrest, jeder Hunger, jedes Frieren ist ein Verdienst; jede Strafe, jeder Schlag ist ein Vorzug bei Jehova.

Sollten in den Lagern mit den Bibelforschern oder Bibelforscherinnen wieder Schwierigkeiten auftreten, so verbiete ich, dass der Lagerkommandant eine Strafe ausspricht. Jeder Fall ist für die nächste Zeit mir unter kurzer Darstellung des Sachverhaltes zu melden. Ich beabsichtige in Zukunft bei einen solchen Fall das Gegenteil zu machen und der betr. Person zu sagen: Ich verbiete, dass Sie jetzt arbeiten. Sie sollen besseres Essen erhalten als die anderen und brauchen nichts zu tun.

Denn während dieser Zeit ruht nämlich nach dem Glauben dieser gutmütigen Irren jedes Verdienst, im Gegenteil, es werden frühere Verdienst von Jehova abgezogen (seine Buchführung muss eine phantastische sein)

Nun zu dem Vorschlag:

Ich ersuche, den Einsatz der Bibelforscher und Bibelforscherinnen in der Richtung zu lenken, dass sie alle in Arbeiten kommen - In der Landwirtschaft z.B. - , bei denen als Bit Krieg und allen ihren Tollpunkten nichts zu tun haben. Hierbei kann man sie bei richtigem Einsatz ohne Aufsicht lassen; sie werden nie weglaufen. Man kann ihnen selbständige Aufträge geben, sie werden die besten Verwalter und Arbeiter sein.

Nur noch eine Verwendung und dies ist, wie oben erwähnt, der Vorschlag von Frau Kersten:

Nehmen wir doch die Bibelforscherinnen als Personal in unsere Lebensbornheime, nicht als Pflegerinnen, aber als Köchinnen, Hausmädchen, Wäscherinnen und für derartige Aufgaben. Auch als Hausmeister, wo wir da und dort noch Männer haben, können kräftige Bibelforscherinnen genommen werden. Ich bin überzeugt, dass wir in den wenigsten Fällen mit ihnen Kummer haben werden.

Auch mit sonstigen Vorschlägen wie Abstellung einzelner Bibelforscherinnen, in kinderreiche Haushalte bin ich sehr einverstanden. Geeignete Bibelforscherinnen, die das Können dafür haben, bitte ich einzeln herauszusuchen und mir zu melden. Ich werde sie dann auf entsprechende Haushalte kinderreicher SS-Familien persönlich verteilen.

In solchem Haushalt dürften sie dann allerdings keine Sträflingskleidung tragen, sondern einen anderen Anzug, und man müßte den dortigen Aufenthalt, ähnlich wie für die freigelassenen und internierten Bibelforscherinnen in Harzwalde, gestalten.

Bei allen diesen für solche Aufgaben abgestellten Halbfreigelassenen wollen wir schriftliches Abschworen oder sonstige Unterschriften vermeiden und lediglich die Verpflichtung auf Handschlag vornehmen

Ich ersuche um Vorschläge für die Durchführung und Bericht.

Heil Hitler!

gez. Himmler

F. d. R.

SS-Obersturmführer

Man vergleiche dazu auch: Schwarzschlaechter

Verwiesen sei auch noch auf das nachfolgende Schreiben (abgedruckt bei Filip Friedman; Tadeusz Holuj „Oswiecim", Warszawa 1946 S. 183f.)

Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD

IV B2 - 486/423

Berlin SW 11, den 15. Juli 1943

Prinz-Albrecht-Strasse 8

An den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei

z. Zt. Feld-Kommandostelle

Betrifft: Entlassung von Bibelforscherinnen, die in SS-Haushalten oder anderen Arbeitsstellen zur Arbeitsleistung eingesetzt sind

Bezug: Befehl vom 6. 1. 1943 - RF/Dr. I 37/43

Der mit obigem Befehl angeordnete Einsatz von inhaftierten Bibelforscherinnen zur Arbeitsleistung in SS-Haushalten und in Lebensbornheimen ist nach Mitteilung des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes - Amtsgruppe D - Konzentrationslager - in den verflossenen Wochen schon laufend erfolgt. Bestimmte Erfahrungen konnten mit den zu diesen Aufgaben abgestellten Bibelforscherinnen noch nicht gesammelt werden, da entsprechende Berichte von den einzelnen Haushalten noch ausstehen. Entlassungen solcher Häftlinge sind ebenfalls bisher noch nicht durchgeführt worden.

Nach den vom RSHA und den Staatspolizei-Leitstellen auch in jüngster Zeit getroffenen Feststellungen sind inhaftierte bzw. neu in Erscheinung tretende Bibelforscher nur in extremen Fällen bereit, sich ihre Freilassung durch eine Unterschriftsleistung unter die bisher übliche Verpflichtungserklärung zu erwirken.

Da einzelne Bibelforscher oft an den Formulierungen der Abschwörungserklärung, besonders daran, dass sie ihre eigene Überzeugung als Irrlehre bezeichnen sollten, Anstoss nehmen, sonst sich aber bereit erklärten, den staatlichen Anordnungen Folge zu leisten und jede ihnen übertragene Arbeit auszuführen, wurden befehlsgemäss mit Bericht vom 29. 10. 42 zwei neue Erklärungsentwürfe vorgelegt, die dieser Tatsache Rechnung tragen und von denen der eine für solche Bibelforscher in Aussicht genommen war, die sich innerlich völlig frei von der Irrlehre der IBV gemacht haben und sich auch zum Kriegsdienst bekennen, während der zweite, inhaltlich wesentlich gemilderte Entwurf nur solchen Häftlingen zur Unterschrift vorgelegt werden sollte, die sich innerlich zwar noch nicht völlig umgestellt hatten, aber nach einer längeren Beobachtungszeit im Lager die Gewähr dafür zu bieten scheinen, dass sie sich nach erfolgter Freilassung in jeder Hinsicht tadellos führen und zu keinerlei Beanstandungen Anlass geben würden.

Des weiteren war vorgeschlagen worden, diese gemilderte Verpflichtung auf die weiblichen Bibelforscher und solche männlichen zu beschränken, die nicht mehr im Wehrdienstpflichtigen Alter stehen. Über diese neuen Erklärungsentwürfe ist eine Entscheidung bisher noch nicht ergangen. Hinsichtlich einer blosen Verpflichtung auf Handschlag im Falle der Entlassung von Bibelforscherinnen, die aus der Lagerhaft zur Arbeitsleistung in SS-Haushalte und anderswo abkommandiert sind, bitte ich auf folgendes hinweisen zu dürfen.

Angestellte Ermittlungen haben ergeben, dass eine Reihe von inhaftierten Bibelforscherinnen gibt, die an sich bereit sind, die ihnen in der Verpflichtungserklärung gemachten Aufgaben zu befolgen, sich aber stur weigern, eine Unterschriftsleistung zu vollziehen, weil sie entsprechend dem Bibelwort „Eure Rede sei ja, ja - Nein, Nein, was darüber ist, das ist vom Übel", jede über diesen Rahmen hinausgehende mündliche, vor allem aber schriftliche Versicherung aus ihren irrreligiösen Beweggründen heraus grundsätzlich ablehnen. Insbesondere würden diese Bibelforscherinnen bereit sein, die ihnen lediglich durch Handschlag auferlegten Verpflichtungen, die sich inhaltlich etwa mit der mit Bericht vom 29. 10. 42 vorgelegten geschilderten Erklärung decken, einzugehen.

Ohne Zweifel aber spielt auch noch eine andere Erwägung für ihre Unterschriftsverweigerung eine nicht unwesentliche Rolle: sie weisen nämlich an die Bibelforscherinnen hin, die bereits ausserhalb der Lagers zur Arbeitsleistung eingesetzt, also halbfrei sind und hoffen für sich, auf demselben Wege eines Tages auch die volle Freiheit ohne Eingehen irgendwelcher Verpflichtungen mündlicher oder schriftlicher Art zu gewinnen. Die in ihnen tief wurzelnde Überzeugung, dass Jehova in nahe bevorstehender Zeit sein Reich auf dieser Welt errichte, die Tore ihrer Gefängnisse öffnen und sie in die Freiheit führen werden, sieht schon in einem Arbeitseinsatz in halber Freiheit außerhalb des Lagers, ein Zeichen für die Wirksamkeit Jehovas zu ihrer endgültigen Befreiung und bestärkt sie in ihrer starren Haltung, unter keinen Umständen durch eine Unterschriftsleistung unter die Abschwörungserklärung Jehova zu beleidigen oder gar ihm und seinen Geboten untreu zu werden.

Im Hinblick auf vorstehende Ausführungen gestatte ich mir daher, folgenden Vorschlag zu unterbreiten:

Entlassungen von Bibelforscherinnen durch blosse Verpflichtung auf Handschlag werden nur in ganz besonderen Ausnahmefällen und nur bei solchen Personen vorgenommen, die nach dem übereinstimmenden Urteil des Lagers und des Arbeitgebers, bei dem sie beschäftigt sind, die absolute Gewähr dafür bieten, dass sie unbeschadet ihrer innerlichen religiösen Überzeugung nach ihrer Freilassung sich streng an die durch Handschlag eingegangenen Verpflichtungen halten und jede öffentliche Äusserung über ihre eigene religiösen Anschauungen sowie über die Lehre der IBV überhaupt unterlassen.

Alle anderen Bibelforscherinnen müssen als Voraussetzung ihrer Freilassung die mit Bericht vom 29. 10. 42 vorgelegte gemilderte Erklärung unterzeichnen. Die Entscheidung darüber, ob eine Bibelforscherin auf blosse Verpflichtung durch Handschlag entlassen wird, trifft der RSHA auf Grund der Beurteilung des Lagerkommandanten und des Arbeitsgebers nach sorgfältiger Prüfung der Umgebung, in der der Häftling nach erfolgter Entlassung zu leben gedenkt.

Die zur Entlassung ohne Unterschriftsleistung anstehenden Bibelforscherinnen müssen durch Handschlag gegenüber dem Lagerkommandanten oder einem von ihm beauftragten Vertreter bestimmte Verpflichtungen eingehen, die sich im einzelnen aus dem beigelegten Erklärungsentwurf zu ersehen bitte.

Über die erfolgte Verpflichtung wird ein kurzes Protokoll gefertigt, das die Mitteilung enthält, dass der Häftling die betreffende Erklärung freiwillig abgegeben hat und darauf hingewiesen wurde, dass er mit seiner sofortigen erneuten Festnahme zu rechnen hat, falls er gegen eine der übernommenen Verpflichtungen verstösst. Dieses Protokoll wird dem RSHA eingesandt, der daraufhin unverzüglich die Entlassung anordnet.

Im Zusammenhang mit dem Gesamtkomplex der IBV bitte ich noch auf eine allgemeine Feststellung hinweisen zu dürfen. Je länger der Krieg mit all seinen seelischen Belastungen für die einzelnen Volksgenossen dauert, um so mehr tauchen in allen Teilen des Reiches schriftlich fixierte und insbesondere durch Mundpropaganda verbreitete sog. Weissagungen und Prophezeiungen auf, die an Hand einer Phantasiereichen Auslegung einzelner Bibelstellen bestimmte Prognosen über Dauer und Ausgang des Krieges stellen und Ausführungen über den Krieg als Vorboten des Weltendes und des Gerichts über den sogenannten Antichristen enthalten, defaitistisch und zersetzend wirken und leider, besonders auf dem Lande, nicht ohne Eindruck auf eine ganze Reihe von Volksgenossen bleiben.

Bekanntlich wird ja nach der Bibel der Antichrist, der jeweils auf den Führer gedeutet wird, durch einen Krieg von Gott selbst vernichtet, der dann auf den Trümmern dieser Weltordnung eine neue, unter seiner persönlichen Führung erstehen lassen will. Wenn es auch nicht immer gelingt, die Hersteller solcher „Prophezeiungen" im einzelnen zu ermitteln, so steht nach deren Art und Inhalt doch fest, dass die Urheber der Flugblätter und Gerüchte unter den Bibelforschern und verwandten sektiererischen Richtungen zu suchen sind.

Infolge ihrer exklusiven Verwurzelung im Alten Testament mit seinen Weissagungen ist das Prophezeien gerade über Dauer und Ende der gegenwärtigen Weltordnung die hauptsächlichste Beschäftigung aller IBVer und ist ihr Zentraldogma schlechthin. Keine andere religiöse Gemeinschaft ist für solche Gedankengänge so empfindlich und verbreitet sie mit solchen Fanatismus wie die Angehörigen der IBV.

In Anbetracht dieser Tatsache und der gegenwärtigen allgemeinen Lage, schlage ich daher des weiteren vor, alle Arbeitgeber, denen Bibelforscherinnen zur Arbeitsleistung zugeteilt sind, anzuweisen, die Häftlinge von sich aus auf die Möglichkeit ihrer Entlassung durch blosse Verpflichtung auf Handschlag vorerst nicht aufmerksam zu machen und eine Entlassung überhaupt erst dann vorzunehmen, wenn der Wunsch dazu von der Bibelforscherin selbst vorgetragen wird.

Ich bitte um Entscheidung F. d. R. d. A.

gez. Dr. Kaltenbrunner

gez. Unterschrift SS-Hauptscharführer

Danach wurde dann offenbar noch das in nachfolgendem Link zitierte Memorandum erstellt

Das eingangs zitierte Himmler-Schreiben vom 20. 7. 1944 repräsentiert, so gesehen, den Schlusspunkt der diesbezüglichen Befassung mit der Bibelforscherthematik durch Himmler und höchste SS-Kreise. Lediglich ein weiteres zusammenfassendes Memorandum ist noch nachweisbar. Zu letzterem siehe:

19442Denkschrift

Himmlers Wehrbauern-Pläne

Das Schicksal der sogenannten Extremen

1954er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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