Ein Schauprozess und seine Kommentierung

Der Stellenwert, den die WTG ihren in Ostdeutschland lebenden Glaubensangehörigen beimaß, wird auch aus folgender Meldung ihres Jahrbuches (1951 S. 133) deutlich:

"Das Dienstjahr 1950 in diesem Lande wurde durch eine regelmäßige und unaufhaltsame Zunahme der Zahl der im Dienste für den König und das Königreich stehenden Verkündiger gekennzeichnet. Mit Ausnahme von einem, hatten wir jeden Monat eine neue Höchstzahl an Verkündigern." Weiter wird ausgeführt: "Das in der Ostzone, die etwa ein Drittel des deutschen Gebietes einnimmt, im Monat Juli 23 000 Verkündiger rapportierten und in Westdeutschland, einem Gebiet, das zweimal so groß ist, etwa 30 000."

Im Oktober 1950 war es dann soweit. Die "DDR" startete nach ihrem Verbot der Zeugen Jehovas, ihren ersten großen Schauprozess gegen letztere. Auch in "Erwachet!" (22. 11. 1950 S. 13) findet man dazu eine Meldung:

"'Berlin, 4. Okt. (Reuter). Der Oberste Gerichtshof der Ostdeutschen Republik verurteilte am Mittwoch zwei Mitglieder der religiösen Sekte 'Zeugen Jehovas' zu lebenslänglicher Zwangsarbeit und sieben weitere zu Zwangsarbeitsstrafen von acht bis zu fünfzehn Jahren. Alle Angeklagten wurden schuldig gesprochen, fortwährend Spionage getrieben, zu Boykott aufgehetzt und Kriegspropaganda geführt zu haben, und zwar auf Weisung des amerikanischen Imperialismus.'

Wer Jehovas Zeugen kennt, der weiß, dass von obiger Urteilsbegründung jedes Wort erlogen ist. Das Gewaltsystem des Ostens verlangt eine Gleichschaltung, mit dem sich aufrechte Christen nicht einverstanden erklären können. Jehovas Zeugen haben nicht dem Nazismus dienstbar sein wollen und wurden grausam unterdrückt, und sie wollen auch nicht dem Kommunismus dienstbar sein, deswegen die Unterdrückung. Die Furchtlosigkeit der Zeugen Jehovas reizt die Kommunisten; denn jedes Gewaltsystem lebt nur von der Angst der anderen."

Der nächste große Prozess gegen die Zeugen Jehovas fand offenbar schon Ende November 1950 in Dresden statt. Über ihn wurde berichtet, dass in ihm 22 Zeugen Jehovas abgeurteilt wurden davon drei zu lebenslanger und die übrigen 19 zu insgesamt 149 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden." "Ostdeutsche Terrorjustiz auf Hochtouren!" überschrieb die Basler "National-Zeitung" diesen Bericht. ("Erwachet!" 8. 1. 1951 S. 14).

Auch die CDU-Tageszeitung "Der Demokrat" hatte in ihrer Ausgabe vom 28. 11. 1950 darüber berichtet: "Wegen Boykott- und Kriegshetze, sowie Spionage verurteilte die 2. Strafkammer des Landgerichtes Dresden am Sonnabend 22 Angeklagte der Sekte 'Zeugen Jehovas' zu hohen Zuchthausstrafen. Die Hauptangeklagten Martin Seyfert, Werner Liebig und Gottfried Klenke

, (Bild: Klenke)

sämtlich aus Dresden, wurden zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. 18 Angeklagte erhielten Zuchthausstrafen zwischen 12 und drei Jahren. Der Angeklagte Richard Rupprecht aus Sausdorf wurde wegen seines Geisteszustandes in eine Heilanstalt überwiesen. Alle Angeklagten wurden überführt, unter einem religiösen Deckmantel für die Spionageorganisation des amerikanischen Imperialismus, die sogenannte Watch Tower Bible and Tract Society mit dem Sitz in Brooklyn, USA, gearbeitet zu haben. Die Angeklagten gaben laufend Berichte und Informationen an die Zentrale Magdeburg oder nach Brooklyn, fertigten Propagandafotografien für die Westberliner Hetzpresse an und kolportierten Hetzschriften der 'Zeugen Jehovas', die sich vor allem gegen die Volkspolizei und die Deutsche Demokratische Republik richteten."

In der Ausgabe vom 22. 4. 1951 (S. 3) des "Erwachet!" ist dann noch ein umfangreicher Bericht zum DDR-Verbot enthalten, der auch noch nachstehend zitiert werden soll:

"'Ist der Bolschewismus besser als andere Systeme? Meint die SED, das was Hitler begann, müsse sie vollenden? Wir fürchten uns vor der SED ebenso wenig, wie wir uns vor den Nazis gefürchtet haben!' So drückte sich Erich Frost, der als einer der Zeugen Jehovas nahezu 9 Jahre in einem Konzentrationslager der Nazi zubrachte, als Wortführer der Zeugen auf einer Bezirksversammlung aus, die 1949 in Berlin abgehalten wurde. … Seither ist der kommunistische Feldzug gegen Jehovas Zeugen in Ostdeutschland immer hitziger geworden, und am 4. September 1950 meldete eine Depesche der United Press: 'Die Kommunisten-Regierung Ostdeutschlands hat Jehovas Zeugen in der Sowjetzone heute verboten.' … Die nachfolgende Darlegungen ihres Korrespondenten in Deutschland veröffentlichte 'Die Wochen-Zeitung' in Zürich am 12. Oktober 1950:

"Vor dem Obersten Gericht der Sowjetzonen-Republik in Berlin inszenierten die Machthaber Ostdeutschlands einen Schauprozess besonderer Art. Er richtete sich gegen neun führende Mitglieder der Religionsgemeinschaft 'Zeugen Jehovas', die kürzlich von der Regierung Grotewohl verboten wurde. Zum erstenmal wurde in einem politischen Prozess der Ostzone 'Agitation gegen den Stockholmer Friedensappell' und im Hinblick auf die am 15. Oktober bevorstehenden Wahlen - 'Verleumdung gegen die Volkswahlen' zu Anklagepunkten gemacht. Außerdem werden den Zeugen Jehovas fortgesetzte Spionage, Boykotthetze, Kriegspropaganda und Verleumdung der Sowjetunion und der Volksdemokratien vorgeworfen.

Es überraschte bei diesen östlich des Eisernen Vorhangs so schwerwiegenden Anklagepunkten kaum, dass die Urteile außerordentlich hoch ausfielen. Die Vizepräsidentin des Gerichts, Dr. Hilde Benjamin (in Berlin als 'rote Hilde' bekannt), verhängte die Strafen in der gleichen Höhe, wie sie Generalstaatsanwalt Dr. Melsheimer (in der NS-Zeit Kammergerichtsrat, 1944 wegen 'einwandfreier nationalsozialistischer Gesinnung' zum Reichsgerichtsrat vorgeschlagen) als Anklagevertreteter gefordert hatte. Das bedeutete für zwei der Angeklagten lebenslängliches, für die übrigen Angeklagten acht bis fünfzehn Jahre Zuchthaus. In der Urteilsbegründung bezeichnete Frau Benjamin die Religionsgemeinschaft als 'religiös getarnte amerikanische Spionagreorganisation'. Und dann sagte sie noch: 'Das Urteil soll die unbelehrbaren Mitglieder der Zeugen Jehovas, die an eine Fortsetzung ihrer Arbeit in der DDR glauben nachdrücklich warnen.'

Schon vor diesem Schauprozess hatten die ostdeutschen Kommunisten versucht diesen fanatischen Glaubenskämpfern … das Rückgrat zu brechen. Mit Hilfe des Staatssicherheitsdienstes der ostzonalen Gestapo, holten sie die führenden Prediger der Religionsgemeinschaft nachts aus ihren Betten und sperrten sie in Konzentrationslager. Anfang September wurde die ostdeutsche Zentralstelle der auch unter dem Namen 'Bibelforscher' bekannten Zeugen Jehovas in Magdeburg … ausgehoben.

Wie es in einem vertraulichen Rundschreiben des Zentralkomitees der SED hieß, sei der Zuwachs zu dieser Organisation beängstigend gestiegen, was sich in den 'demokratischen Massenorganisationen' unangenehmbar bemerkbar gemacht habe. Das die Kommunisten die 'Bibelforscher' besonders scharf aufs Korn nahmen, hatte seine guten Gründe: Sie gehören zu denen, die auch heute noch in Sowjetrussland kein Blatt vor dem Mund nehmen. … Auf Grund ihres Glaubens werden die 'Zeugen Jehovas' zwangsläufig in jeder Diktatur zu Staatsgegnern. Sie lehnen jede irdische Autorität ab und glauben nicht an Obrigkeiten von Gottes Gnaden. … Da die 'Bibelforscher' konsequent Waffendienstverweigerer sind und auch die Ehrung staatlicher Symbole und Führer als Götzendienst ablehnen, gerieten sie schon zu Hitlers Zeiten mit dem Regime in Konflikt. … Heute sind nun diese ebenso harmlosen wie fanatischen Glaubensapostel erneut blutigen Verfolgungen ausgesetzt. Die Frauen und Männer, die heute in ostdeutschen KZ dahinvegetieren, sind oft die gleichen, die schon unter Hitler in KZ eingesperrt waren. Während sie damals als Kriegsdienstverweigerer verfolgt wurden, werden sie heute in der Pieck-Republik als Kriegshetzer gebrandmarkt.

Wie sagte doch die 'rote Hilde' im Berliner Schauprozess:

'Das Urteil soll die unbelehrbaren Mitglieder der Zeugen Jehovas, die an eine Fortsetzung ihrer Arbeit in der DDR glauben, nachdrücklich warnen.' Nun, die 'Bibelforscher' glauben nicht nur an eine Fortsetzung ihrer Arbeit, sie setzen sie trotz aller Verfolgungen noch immer fort. Wie unerschütterlich ihr Glaube ist, bewiesen Tausende von ihnen, die letzte Woche illegal aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet zu einer von 20 000 Personen besuchten Kundgebung der 'Zeugen Jehovas' im britischen Sektor Berlins kamen. Obwohl die Volkspolizei eine mehrmalige tägliche Meldepflicht für sie angeordnet und auch sonst alle Vorkehrungen gegen ihre Teilnahme an der Kundgebung getroffen hatte, machten sie sich auf den Weg nach Berlin. Und obwohl schon auf dem Hinweg Hunderte von der Volkspolizei angehalten und verhaftet wahren, kehrten sie, die sich bis Westberlin durchgeschlagen hatten, trotz drohender Verhaftung in die Sowjetzone zurück."

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1950er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte