Fragwürdige Argumentation

Der Zweite Weltkrieg war inzwischen in Europa mit dem deutschen "Blitzkrieg" gegen Polen ausgebrochen. Noch waren die USA in ihm nicht direkt involviert. Dies sollte erst einige Jahre später auch der Fall sein. Aber ohne Zweifel setzte ein ungerechtes Morden von riesigen Dimensionen ein. In dieser Situation nahm die USA-Führung der Zeugen Jehovas unter der Überschrift "Neutralität" im "Wachtturm" vom 1. 12. 1939 in einem Grundsatzartikel Stellung. Bemerkenswert in diesem Artikel auch der Satz: "Eine Anzahl der Nationen der Erde, z. B. die Vereinigten Staaten, verhalten sich jetzt andern Nationen gegenüber neutral…" Im Anschluss an die Beschreibung dieser USA-"Neutralität" mit dem unterhalten weiterer Handelsbeziehungen zu den Kriegführenden Nationen wird dann ausgeführt: "Der Standpunkt der Zeugen Jehovas ist ganz verschieden von dem der Nationen der Erde."

Um es in einem Satz auf den Punkt zu bringen. Wer da meinen sollte, in diesem Grundsatzartikel das Hohelied des Pazifismus vorzufinden, der wird maßlos enttäuscht werden. Auch in diesem Zeugen Jehovas-Artikel kann man die Floskel "vom gerechten Krieg" wiederfinden. Nur, dass "gerecht" im Sinne der Zeugen Jehovas etwas anderes ist, als im Sinne der Nationen. Etwa mit ihrer Bemerkung:

"Die Kriege Israels zur Besitzergreifung dessen, was ihnen als Geschenk von Gott, dem Allmächtigen, gehörte, schatteten daher die Besitzergreifung der ganzen Erde durch Christus Jesus vor, der die Erde von Jehova Gott als Geschenk erhalten hat, wobei Christus unter dem Befehle des Allmächtigen handelt … ."

Auch bezeichnend in dieser religiösen Apologie der Satz: "Die Israeliten fielen nicht in das Eigentum anderer ein. Sie besetzten lediglich das Land, dass ihnen als Geschenk von Jehova gehörte. Ihre Anteilnahme am Kriege geschah auf den Befehl des allmächtigen Gottes, und ihr Gehorsam gegen sein Gebot war wohlannehmlicher als Opfer."

Gekrönt wird diese Apologie noch mit dem Satz: "Solche Kriege waren gerecht; darum erhörte und beantwortete Gott auch die Gebote seines Vorbildvolkes, solange es ihm gehorchte. Der Sieg wurde ihnen nicht etwa wegen ihrer überlegenen militärischen Ausrüstung verliehen, sondern, weil Gott seine Allmacht zu ihren Gunsten betätigte… Der König David führte Gottes Befehl aus, als er von dem ganzen Herrschaftsgebiet Besitz ergriff, dass der höchste Herrscher der Theokratie seinem Vorbildvolke zugewiesen hatte. Damit stellt er bildlich den größeren David, Christus Jesus, dar, der von der ganzen Erde Besitz ergreift."

Angesichts dieser Argumentation ist man versucht, anzumerken, dass offenbar kein allzu großer Unterschied zwischen dieser Argumentation der Zeugen Jehovas-Führung und jenem markigen Koppelspruch besteht, auf dem man lesen konnte: "Gott mit uns".

Es fehlte im Falle Hitlers also nur die "rechte" theologisch verklausulierte Begründung. Und was das Argument von der Besitzergreifung als einer Realisierung eines "rechtmäßigen Gottesgeschenkes" anbelangt. Nun, Hitler und Konsorten bemühten auch die uralten "Steinzeitgermanen" für ihre Ansprüche, sowie die Zeugen Jehovas auch keine Skrupel haben, die uralten israelitischen Angriffskriege noch nachträglich zu verklären.

Aber ebenso fest steht auch, dass Hitler und Konsorten nicht die Zeugen Jehovas für ihre Angriffskriegerischen Ziele einspannen konnten. Auch dazu findet man entsprechende Statements in jenem Wachtturm-Artikel. Etwa in jener Wendung:

"Die Regierungsbeamten der Nationen dieser Welt, die mit der Musterung der Heere zu tun haben, können kein rechtes Verständnis der … Schrifttexte besitzen, weil sie von der Welt sind und sich nicht dem allmächtigen Gott geweiht haben. Darüber steht geschrieben: "Der natürliche Mensch (der Mensch, der den Dingen der Welt Satans ergeben ist) aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird."

Noch deutlicher indes ist die Äußerung: "In Deutschland gibt es eine Anzahl Christen, die im wahren und vollen Sinne des Wortes Gottes Bundesvolk sind. Warum sollten denn diese für Hitler und seine Gangster kämpfen, welche doch Gott dem Allmächtigen trotzen und die verfolgen, die Jehova Gott und Christus Jesus dienen?"

Also man kann jenem Wachtturm-Artikel in gewissem Umfang schon bestätigen, dass er des "Pudels Kern", sehr wohl in seiner Überschrift von der "Neutralität" festgemacht hat. Etwa, wenn er einleitend ausführt:

"Wenn zwischen denen, welche zur Organisation Satans gehören, Streit oder Krieg herrscht, so verhält sich Christus Jesus hinsichtlich der streitenden Parteien stets neutral. Die 'Neutralität' zu wahren bedeutet, sich zu weigern oder es abzulehnen, an einem Streit oder Krieg, den andere unter sich führen, teilzunehmen, insbesondere wenn sich solche Kriegführenden Nationen gegen den Neutralen unfreundlich verhalten. In solchen Streitigkeiten oder Kriegen ergreift der neutrale für keine Seite Partei, sondern weigert sich den Kampf der einen Seite gegen die andere aufzunehmen; und das trifft besonders dann zu, wenn der Neutrale zum Eingreifen keine gerechte Ursache hat.

Zwischen einigen Nationen der Erde herrscht nun Krieg. Etliche Nationen, die sich tatsächlich im Kriege befinden, haben ihre Neutralität erklärt. Es wird den Amtspersonen der Nationen schwerfallen, die wirkliche Neutralität der Zeugen Jehovas gut zu verstehen:"

Eines wird man als Kommentar zu diesen Ausführungen noch sagen können. Diese "Neutralität" basiert faktisch auf gewissen Voraussetzungen. Eine der wesentlichen ist die akute Endzeitnaherwartung. Sie, in ihren unterschiedlichen Ausprägungen dargelegt, ergibt, dass das gesamte Lehrgebäude der Zeugen Jehovas auf einer Illusion beruht, einschließlich der praktischen Auswirkungen, zum Beispiel der Wehrdienstverweigerung. Auch vom pazifistischen Standpunkt kann man eine solche Entscheidung würdigen. Aber unter gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten wird man sagen können: Hier wurden Menschen von einer Führungsclique für eine (vielleicht ehrenwerte) Theorie "verheizt"!

Nachstehend einige Auszüge aus diesem Grundsatzartikel mit den typischen Textanstreichungen zeitgenössischer Zeugen Jehovas:

Siehe zum Thema auch: Eine Bilanz in Sachen Wehrdienstverweigerung

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1939er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte