Ach so - sie "sind vom Teufel"

Der Jahrgang 1934 des "Wachtturms" glänzt" schon auf den ersten Seiten (S. 6) mit der nachfolgenden "Weisheit":
"Der 'Wachtturm' hat gesagt, dass die Geistlichkeit des 'organisierten Christentums' dem Teufel und nicht Jehova Gott dient. Diese Anschuldigung ist heftig bestritten worden, indem man behauptet hat, es gäbe aufrichtige Prediger, die das Evangelium ihrem Glauben entsprechend verkündigten. Die Antwort wäre, dass die Aufrichtigkeit im Glauben nicht genügt, jemand zum Knechte Jehovas zu machen. Es möge zugegeben werden, dass es aufrichtige Menschen unter der Geistlichkeit des sogenannten 'organisierten Christentums' gebe. Andererseits muss aber auch von denen, die solche Geistliche verteidigen, zugestanden werden, dass Lehren von diesen gepredigt werden, die selbstischer Art sind. Solche Prediger, ob sie nun aufrichtig sind oder nicht, dienen dem Teufel."


Die solcher Art als "Teufelsdiener" titulierten, beliebten zum Gegenschlag auszuholen. Man lebte ja in den USA im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Man erinnerte sich wohl, dass es schon mal Schlagzeilen gab die von "Wildwest in Amerika" sprachen. Das lag nun schon einige Zeit zurück. Warum das ganze nicht einfach mal wiederholen? Gesagt - getan. Die Zeugen Jehovas gingen auch einigen Amerikanern - namentlich solchen mit katholischer Kirchenzugehörigkeit - langsam aber sicher, empfindlich auf die Nerven. Hatte doch der Papst das Jahr 1933 zum "Heiligen Jahr" deklariert und hatte doch Rutherford seinerseits kräftig dagegen gewettert. Hatten die Zeugen Jehovas zudem die Angewohnheit sich um Öffentlichkeitswirksamkeit zu bemühen. Namentlich mittels ihres organisierten Predigtdienstes.

Als solch eine organisierte Truppe von Zeugen Jehovas, in ihrer eigenen Terminologie, auch wie ein Heuschreckenschwarm, im Juni 1933 die amerikanische Kleinstadt Plainfield überfiel, um den dortigen Bürgern ihre Botschaft mitzuteilen, da schlug man zurück. Die dortige Polizei verhaftete, angestachelt von den religiösen Gegnern, kurzerhand 56 Zeugen Jehovas und steckte sie unter entwürdigenden Umständen in die Gefängnisse. Rutherford seinerseits erbost darüber, ging zur nächsten Gegenattacke diesbezüglich über. Der Bericht im "Goldenen Zeitalter" vom 15. 4. 1934 vermeldet dazu:


"Noch ehe Richter Rutherford aus Europa zurückkehrte (wo er sich mit dem Hitlerverbot auseinandersetzen musste - sicherlich keine für ihn angenehme Erfahrung) teilte er mit, dass am 30. Juli im 'Strandtheater' zu Plainfield eine religiöse Versammlung zum Nutzen der Einwohnerschaft dieser Stadt abgehalten würde. Die Ansprache sollte folgendes Thema behandeln: 'Warum solche religiöse Unduldsamkeit?' Die Polizei als solche ist nicht eingeladen worden, diesem Vortrag beizuwohnen. So gut wie jeder andere Bürger, waren sie uns willkommen, aber es lag kein Grund vor zu einem offiziellen Erscheinen. Tatsache ist, dass sie gleich einem Bienenschwarm den Platz überfluteten und Maschinengewehre bei jedem Durchgang verwandelten die Stätte in ein wahres Zeughaus.

Dieselben finstern Mächte, die am 4. Juni im Spiele waren und zu den Verhaftungen geführt hatten, brachten am 29. Juli 27 weitere Verhaftungen zustande. Weil die lokale Presse sich weigerte, die Ankündigung des Vortrages zu bringen, verteilte man überall in den Häusern Flugblätter die zum Besuche einluden und nun wurden die Neu-Verhafteten des 'Verbrechens' angeklagt, sich an der Verbreitung solcher Einladungen beteiligt zu haben.


Nach diesen zweiten Verhaftungen durchquerten am Samstagnachmittag und abends, sowie am Sonntagmorgen 60 Autos die Strassen von Plainfield und Summit. Sie trugen beidseitig mächtige Banner mit der Einladung herzukommen und bei freiem Eintritt Richter Rutherford im 'Strandtheater' sprechen zu hören. … (Es) war jeder Platz des Theaters besetzt, einige mussten stehen. Der Saal fast 1800 Personen. Schon lange vor Beginn der Versammlung kam die Polizei und unterfing sich, in jedem Winkel des Theaters ihre Waffen zu platzieren. Zwei Maschinengewehre im Rücken des Redners hätten Richter Rutherford augenblicklich niederknallen und die Stätte in ein Schlachthaus verwandeln können. Mit Kriegswaffen sich brüstende Beamte befanden sich an jedem Ausgang und überall im Hause. Es wurde gemeldet, dass mehr als die Hälfte des Polizeikorps von 64 Mann im Saal anwesend waren, die einen in Uniform, die andern in Zivil."


Im eigentlichen Vortrag machte Rutherford dann sich noch Luft mit der Anmerkung:
"Ich halte diesen Vortrag nicht für die untreue Geistlichkeit, noch für ihre blinden Gimpel, die sich hinter dem Gesetz zu verstecken suchen um ihre verkehrten Taten zu schützen. … Bürger von New Yersey, die vorgeben Täter des Gesetzes zu sein, haben versucht die heutige Veranstaltung zu verhindern. … Selbst der Polizeichef dieser Stadt bat den Besitzer des Theaters, seinen Vertrag zu brechen und dies, nachdem der volle Mietpreis bereits bezahlt war."

Offenbar geht die Rutherford-Broschüre "Intoleranz" (Ende 1933 erschienen), auch auf diese Vorgänge ein.

Man kann wohl sagen, dass auch jene Schrift nur so von "markigen" Sprüchen strotzt. Etwa wenn man da liest:

"Die Welt ist zu Ende, und der Teufel muß sein Besitztum abtreten. Bevor er jedoch vollständig hinausgeworfen wird, gebietet Gott, daß sein Zeugnis von seinem Königreiche von seinen Zeugen verkündigt werden müsse. …

Das Haupt der römisch-katholischen Hierarchie hat angekündigt, das Jahr 1933 sei ein 'heiliges Jahr', einfach weil er es als solches erklärt hat."

Da muss man doch wohl hinzufügen dürfen. Die "Symbolträchtigkeit" kann man dem Jahre 1933 nicht absprechen. Auch in der Sicht der Zeugen Jehovas sei doch Jesus im Jahre 33 hingerichtet worden. Wenn den Papst das nun als "Jubiläum" aufnimmt und als Wasser auf seine Mühlen zu lenken gedachte, dann kann man solch Überlegung zumindest nachvollziehen. Wer dagegen so wie Rutherford "polterte" offenbart letztendlich nur seinen religiösen Konkurrenzneid.

Weiter geht es im Rutherfordtext mit dem Satz:

"In einer von vielen Radiostationen ausgesandten Rede erklärte ich, daß der Papst durch die Einsetzung eines heiligen Jahres, das angeblich Frieden und Wohlstand herbeibringen werde, sich einer vermessenen Sünde vor Gott, dem Allmächtigen schuldig gemacht hat. Wegen jenes Vortrages griff mich die katholische Presse im ganzen Lande an und brachte viele falsche Behauptungen gegen mich vor. - Ich antwortete in einem Briefe an die kath. Presse und da sie es unterlassen hat, ihn zu veröffentlichen, hat die Zeitschrift 'The Golden Age' ('Das Goldene Zeitalter') ihn veröffentlicht. …

Ich bestehe darauf, daß der Klerus der päpstlichen Hierarchie den Teufel, aber nicht Jehova Gott vertritt. … Sie vergessen jedoch zu sagen, ob sie den wahren Gott oder dem Scheingott meinen. Die Schrift zeigt aufs bestimmteste, daß der wahre Gott heute nicht in den Kirchen ist; folglich ist diese Bewegung auf das Betreiben des Feindes Jehovas entstanden und bezweckt, die Menschen zu täuschen und zu verführen."

Und seine von Destruktivität strotzenden Ausführungen beschließt Rutherford dann noch mit dem Ausruf:

"Hätten die heutigen Herrscher Erkenntnis und Verständnis und Glauben an Gottes Wort, so wären sie überzeugt, daß die Welt nie wiederhergestellt werden kann, und daß alle Machenschaften zur Wiederherstellung der Welt sicherlich fehlschlagen werden, und zwar, weil Jehova das endgültige Urteil gefällt hat, daß diese Welt zerstört werden muß."

Man sieht, gleich einer "tibetanischen Gebetsmühle" trägt Rutherford den Satz vor sich her, "diese Welt muß zerstört werden". Damit erreicht er ohne Zweifel die Befindlichkeit einer gewissen soziologischen Schicht. Andere, dieser Schicht nicht zugehörig, sehen das allerdings anders, grundlegend anders. Besonders attackiert von Rutherford auch die katholische Kirche. Auch dabei erreicht er wieder die Empfänglichkeit jener vorgenannten soziologischen Schicht. Das der Katholizismus vor Intoleranz nur so strotzt, soll nicht prinzipiell in Abrede gestellt werden. Aber das ganze spielte sich in den USA der 1930er Jahre ab. Und die dortigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kann man keineswegs mit dem finsteren Mittelalter vergleichen.

Indem Rutherford in dieser gesellschaftspolitischen Situation ausgesprochene Hetzthesen zu lasten der katholischen Kirche verkündete, kann man es letzterer nicht verargen, wenn sie sich entsprechend wehrte. Nicht immer in Form der "vornehmen englischen Art". Sicherlich nicht. Aber genau das konnte auch Rutherford für sich nicht in Anspruch nehmen.

Und wie es in den Wald hineinschallt - so schallt es auch aus ihm zurück!

Exkurs:

Günther Pape etwa, kommentiert unter Bezugnahme auf den gleichen Sachverhalt, in seinem Buch "Ich klage an" (S. 80-83):

Zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, von dem Rutherford meinte, daß "niemand erklären könnte, warum eigentlich der Krieg aufgehört habe", war die neue demokratische Ordnung nicht nur nicht gefestigt, sondern in Gefahr.

Zwar hatte sich Deutschland nach der Inflation etwas erholt, und es gab ein paar Jahre, in denen sich die Demokratie etwas stabilisiert hatte, aber das spielte für Rutherford und seine Anhänger keine Rolle.

In seinem Buch "Regierung" zeichnet Rutherford eine Welt, die hoffnungslos dem Untergang geweiht ist. Alle menschlichen Bemühungen um Demokratie und Gerechtigkeit waren seiner Ansicht nach zum Scheitern verurteilt.

Eine Passage aus besagtem Buch verdeutlicht Rutherfords Einstellung:

"Gleichzeitig mit dem Weltkriege und hernach brachen Revolutionen aus, die eine Kundgebung des Verlangens der Völker nach besseren und liberaleren Regierungen waren. Selbstsüchtige Revolutionäre haben gewöhnlich die Lage des Volkes verschlimmert, anstatt verbessert. Etliche Nationen waren vom Bolschewismus regiert, der niemals eine zufriedenstellende Regierung für das Volk beschaffen kann. Der Bolschewismus ist zum sicheren und vollständigen Mißerfolg verurteilt. Dasselbe muß vom Kommunismus gesagt werden ... Monarchien sind gegen das Volk hart, grausam und tyrannisch gewesen, aber Bolschewismus und Kommunismus sind noch schlimmer ... Gewissenlose Profitmacher raffen durch Betrug fabelhafte Geldsummen zusammen ... Die Regierungsgewalt ist somit in den Händen einiger weniger Menschen, deren Gott das Geld ist ... Große Korporationen, genannt Trusts, die im Besitz und unter Kontrolle einiger weniger skupelloser Menschen sind erdrücken den ehrlichen Handel, bestechen die öffentlichen Beamten..."

Und wie selbstverständlich weist er nach, daß für all diese Dinge der „Gott dieser Welt, Satan der Teufel" verantwortlich ist. Alle menschlichen Bestrebungen die Umstände und Verhältnisse zu bessern, sind von daher zum Scheitern verurteilt.

In diesem Zusammenhang ist eine kurze Darstellung der Rutherford'schen Ansicht über die "weltliche Obrigkeit" angebracht.

Seine Vorstellungen über den Umgang mit der weltlichen staatlichen Macht kann man sich am besten veranschaulichen, wenn man sich sein Buch "Jehova" vornimmt.

Darin schildert er, wie heute in gegenbildlicher Erfüllung der ägyptischen "Zehnten Plage", die Botschaften und Warnungen, der Zeugen auf die „offiziellen Elemente der sichtbaren Organisation Satans, die Herrscher der Welt und ihre feilen Anhänger, lasten". Mit einem "beständigen Geheul der römisch-katholischen Hierarchie und anderer Geistlicher... vom gleichen Schlage" wurde. verlangt, daß den Boten verboten werde die Einrichtungen der Welt zur Verkündigung ... zu gebrauchen."

Da Jehovas Zeugen „allen solchen Widersachern gründlich verhasst seien", würden sie verfolgt, um sie mit "einem scheinbar gesetzlichen Vorwand auszurotten".

Hier spricht er nicht von der Nazi-Herrschaft in Deutschland, wie man eigentlich annehmen könnte. Die bisherigen Schwierigkeiten und das Verbot in Deutschland werden hier nicht erwähnt.

Als erstes Beispiel beschreibt er die Verfolgung

von Zeugen Jehovas in Plainfield, New-Jersey, USA. Eine „bis auf die Zähne bewaffnete Polizeigarde war zweifellos auf Betreiben grausamer katholischer Priester auf der Szene erschienen".

Daß es nicht zu einem Mord gekommen sei, hätten  selbst die "Polizisten nicht begreifen" können.

Nach Rutherfords Aussage ziehen heute - gemeint ist 1934 - die Zeugen aus dem gegenbildlichen Ägypten, der bösen Welt, aus.

Wie die Israeliten von den Ägyptern „silberne und goldene Geräte forderten", so forderte Rutherford damals schon, daß sie "berechtigt und befugt sind, die Benutzung jeder und aller Mittel, über die die Machthaber der Welt jetzt verfügen, nachzusuchen", um sie für ihr Werk zu gebrauchen.

"Das bedeutet, daß sie des Feindes eigene Mittel oder Werkzeuge gegen ihn verwenden sollen, wie die Radiosender, die Einrichtungen der Gerichte, Petitionen und Proteste an die gesetzgebenden Körperschaften, welches Recht durch die Staatsverfassung ihres eigenen Landes verbürgt wird... Damit bitten sie nicht etwa Satans Organisation um Erlaubnis für ihre Tätigkeit, sondern überbringen der Satansorganisation die Ankündigung und verlangen, daß diese weltliche Organisation aufhören soll, sich m den Weg zu stellen ... So wendet das Volk des Herrn einige Dinge der Gesellschaft des Teufels dem Werke und Dienste des Herrn zu.

Das ist übrigens ein endgültiger Beweis dafür, daß Jehovas Zeugen sich nicht mit einer Geschäftsunternehmung abgeben, wie Straßenhandel, Hausieren und Bücherverkauf, ungeachtet was immer auch die weltlichen Gerichte hierüber entscheiden oder urteilen mögen."

Das kann letztlich nichts anderes bedeuten, als daß von Rutherford und damit für die, die ihm folgen, die Gesetze der Länder oder Rechtsentscheide von Gerichten bewußt ignoriert wurden. ..."

Rutherford schreibt seinen Untertanen: „.. es wäre durchaus ungereimt, wenn die Gesalbten die Regierungen fragen würden ob sie wohl das Evangelium predigen dürften. Es ist aber gewiß ihre Pflicht, zu fordern, Satan und seine Vertreter möchten aufhören, Jehovas Zeugen zu hindern, ... Es müßte daher Jehova Gott mißfallen, wenn irgend jemand den gegenbildlichen Pharao und seinen Beamten um Erlaubnis bäte, auszugehen und das Evangelium predigen zu dürfen... Jehovas Knechte müssen seinen Befehlen gehorchen."

Rutherfords Aussagen sollten für die ihm Hörigen quasi wie das Wort Gottes sein und als "Evangelium" von Haus zu Haus getragen werden."

ZurIndexseite

1934er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte