Kommentierung der Inflation

Deutschland hatte den Ersten Weltkrieg verloren. Dies, so nüchtern gesagt, wollten die damaligen Stützen in Politik und Kirche nicht unbedingt wahrhaben. "Schuld" waren in deren Lesart natürlich immer andere. Die "überstaatlichen Mächte", der "Dolchstoß der bolschewistisch verseuchten Heimat"; das nicht "rechtgläubig genug" seien Volk usw. usf.

Die Siegernationen nahmen auf diese Empfindlichkeiten vorerst keine Rücksicht. Sie diktierten ihre Forderungen im Versailler Vertrag und die von den alten Stützen der Gesellschaft ungeliebten demokratischen Regierungen in Deutschland, mussten sehen wie sie damit klar kamen. Wie man weiß, gelang ihnen das mehr schlecht als recht. Die Notenpressen wurden angeworfen und der Geldwert sang ins Bodenlose. Außer einigen wenigen Kriegsgewinnlern hatten breite Volksschichten die Zeche mit zu zahlen. Wer da noch Ersparnisse aus früheren Zeiten hatte, sah sie zum Nichts zerrinnen. Verständlich, dass es viele gab, die in dieser Situation ihr Heil in extremistischen Positionen suchten. Linke und rechte Politprediger gründeten in jenen Tagen ihre Massenbasis und auch religiöse Kriegsgewinnler sahnten bei diesem Fischzug mit ab - namentlich auch die Bibelforscher. Passten doch diese Rahmenbedingungen scheinbar nur zu gut in ihr Weltbild.

Ein Symptom dafür ist auch jener Kommentar in der Schweizer Ausgabe ihrer Zeitschrift "Das Goldene Zeitalter" (15. 11. 1923 S. 64) in der man unter der Überschrift "Erschütterung der Gesellschaftsordnung in Deutschland" lesen konnte:

"In der Tat, die Aufstellung der beiden Heerlager ist in Deutschland nun eine vollendete Tatsache. Auf der einen Seite das Kapital, die Kirche und die Großpolitik und auf der anderen Seite das Proletariat. Die riesenhafte Schlachtfront ist da, die deutschen Volksmassen marschieren mit Riesenschritten dem großen entscheidenden Klassenkampf entgegen, der in der Bibel als der 'Krieg von Harmagedon' bezeichnet wird … Aber nicht nur auf politischem Gebiet entwickelt sich die große Drangsal in Deutschland in geradezu rasendem Tempo, sondern ebenso in wirtschaftlicher Hinsicht.

Sind das nicht gewaltige Zeichen der Zeit?

Klafft nicht die Erde (die soziale Ordnung) auseinander? Zerberstet und schwankt sie nicht hin und her? Taumelt sie nicht wie ein Trunkener? Schaukelt sie nicht wie eine Hängematte? Und wenn ja, erfüllt sich dann nicht vor unser aller Augen die Prophetie der Hl. Schrift, dass die alte Ordnung der Dinge auf der Erde zusammenbricht und das Goldene Zeitalter unmittelbar vor der Türe steht?"

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