Der vorangegangene Jahrgang   1915

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1916 Wahrheit war

Rückblick auf das Jahr 1915

Nun war das angefieberte Jahr 1914 Vergangenheit. Auch gleichfalls das Nachfolgejahr. Zeit also einmal Bilanz zu ziehen, wie es denn nun im Nachhinein um die dieses Datum verkündende Organisation bestellt sei. Der "Wachtturm" des Jahres 1916 veröffentlicht in seiner Februarausgabe einen solchen Bericht von höchster Stelle unter der Überschrift: "Bericht der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft, Brooklyn, für das Jahr 1915."

Einleitend wird festgestellt: "Obgleich das Jahr 1915 bedeutend hinter anderen Jahren zurückgeblieben ist, was die Tätigkeit der Gesellschaft in der Verbreitung der Wahrheit betrifft, so ist trotzdem dieser Bericht einer der besten, den die Gesellschaft je veröffentlichen durfte."

Weiter wird rekapituliert: "Er (dieser Bericht) macht darum einen so tiefen Eindruck auf uns, weil viele der lieben Freunde, welche in der Vergangenheit das Werk eifrig unterstützt haben, so freigebig, so inbrünstig, so eifrig gewesen sind, daß sie für sich selber nur so viel von den Dingen dieses Lebens übrig gelassen haben, um gebührend für sich selber und ihre Angehörigen sorgen zu können. Unsere Erwartungen, daß das geweihte Volk des Herrn im Oktober 1914 jenseits des Vorhangs genommen werden könnten, hatte viel mit dieser früheren Tätigkeit zu tun; so daß die Freunde … in wunderbarer Weise ihre Mittel und sich selbst aufopferten."

Hier haben wir also schon ein frühes Dokument dafür, worum es den hauptamtlichen WTG-Funktionären letztendlich geht. Das blöde Fußvolk (ich formuliere das bewusst scharf). Das blöde, saublöde, Fußvolk, möge sich doch für seine Herren in der WTG-Zentrale aufopfern. Seelisch, materiell, auf allen Ebenen.

An dieser Feststellung hat sich übrigens nichts bis in die Neuzeit geändert!

Ein neuzeitlicheres Beispiel. Als die 1975-These neu herauskam, beliebte der damalige deutsche Zweigdiener Konrad Franke, in Hamburg dortigen Zeugen Jehovas-"Honoratioren" zu einer Versammlung zusammenzutrommeln. Eines seiner "Kronargumente" war eben die 1975-These, die er nach allen Regeln der Kunst verteidigte. Kritische Einwände dazu, wurden von ihm mit Brachialgewalt niedergebügelt. Nur ein "Highlight" diesbezüglich. Franke registriert sehr wohl Vorbehalte gegen die 1975-These. Ihm ist bewusst, dass es da welche gebe, die auch auf die von der WTG publizierten These von der "unbekannten Lebenszeit Adams in Eden", die man möglicherweise hinzuzählen müsse, verweisen. Das ist für Franke kein Argument. Er argumentiert. Noah habe nur sieben Tage gebraucht um alle Tiere in die Arche zu bekommen. Ergo, so Franke, könne Adam auch nicht viel mehr Zeit für seinen Auftrag den Tieren Namen zu geben, gebraucht haben. Ergo, so Franke, bemesse sich diese Verzögerung in Tagen, aber keinesfalls in Jahren. Und als Quintessenz seines Vortrages wollte Franke die Forderung verstanden wissen. Jede Zeugen Jehovas-Familie möge einen "Pionier" aus ihren Reihen stellen. Also Aufopferung hoch zehn für die WTG!

Kehren wir zum 1915-Bericht zurück. Weiter wird dort ausgeführt:

"Der Wachtturm hatte allerdings während zwei Jahren vorher darauf aufmerksam gemacht, daß die große Verwirklichung unserer Hoffnung wahrscheinlich nicht in dieser Zeit stattfinden würde. Nichts destoweniger ließ der inbrünstige Eifer im Dienst der Wahrheit viele der Brüder bis zur Grenze ihres Vermögens gehen. Und während des vorhergehenden Jahres hatte das Photo-Drama der Schöpfung den Brüdern so sehr den Eindruck einer göttlichen Vorsehung gemacht, um die Wahrheit zu verbreiten, daß dies irgendeinen Verlust in den Erwartungen bezüglich der Zeit reichlich ersetzte."

So, nun weiß man's. Der Lichtbildervortrag "Photo-Drama der Schöpfung" war der Trostbonbon. Wie die Bilder sich doch gleichen. Als Rutherford's 1925-These gleichfalls den Bach heruntergeschwommen war, ließ er der staunenden Anhängerschaft verkünden, für die erwarteten "demnächst" auferstehenden "alttestamentlichen Überwinder", werde schon mal vorsorglich eine würdige Heimstatt "Beth-Sarim" errichtet. Da man ein solches luxeriöses Gebäude schlechterdings nicht im Dauerzustand leerstehen lassen könne, ziehe er, Rutherford, als "Verwalter" dort schon mal ein. Seine Nachfolger, peinlich berührt, verkauften nach Rutherford's Tod jenes Etablissement. Auch ihnen musste ein Trostbonbon geboten werden. Sie sollten ihn auch bekommen. Die WTG-Funktionäre wären nunmehr die "Fürsten" ließ man verkünden, dieweil die ursprünglich erwarteten weiter in ihren Gräbern vermoderten.

So wird auch weiterhin auf der Klaviatur der Einfältigkeit gespielt. Und offenbar hat dieses Geschäft bis heute immer noch geklappt!

Unbußfertig

Noch etwas sei aus dieser "Wachtturm"-Ausgabe zitiert. Diesmal kommentarlos. Diese seinerzeitigen Ausführungen sprechen auch so für sich:

"Kürzlich hörten wir von einem Kolporteur, der einige Bedenken hatte in bezug auf den ("Schriftstudien") Verkauf, weil darin das Jahr 1914 erwähnt sei, und der darum mit dem Verkauf des Photo-Drama-Buches angefangen hatte. Wir glauben, daß der Bruder die Sache verkehrt angesehen hat. Die Schriftstudien sind keine Prophezeiungen. Die Tatsache, daß unsere Erwartungen hinsichtlich der 'Verwandlung' im Jahre 1914 nicht in Erfüllung gingen, bedeutet nicht, daß die Prophezeiung fehlging. Unsere Leser sollten wissen, daß wir nichts prophezeit haben. Wir haben über die Prophezeiung nur unsere Meinung zum Ausdruck gemacht, samt anderen Gründen, mit Hinweis auf Kapitel und Vers. Nichts in der Bibel sagt uns ausdrücklich, daß die Herauswahl im Herbst des Jahres 1914 verherrlicht werden würde. Der Verfasser der Schriftstudien hat es allerdings als seine Ansicht erklärt, daß die Herauswahl (Kirche) zu der Zeit verherrlicht sein würde, und hat gleichzeitig seine Gründe hierfür angegeben.

Da nun das Datum vorbei ist und die Herauswahl noch nicht verherrlicht ist, empfindet er keinerlei Enttäuschung. Er hat die ganze Zeit nur den Wunsch gehabt, daß des Herrn Wille geschehen möchte, und nichts anderes. Was die Heilige Schrift deutlich zu lehren schien, und was wir fest zu behaupten suchten, war, daß, soweit die biblische Chronologie zeigt, die Zeiten der Heiden (Nationen) mit dem Herbst des Jahres 1914 zu Ende gehen würden. Vor einiger Zeit wiesen wir darauf hin, daß dieses Zuendegehen der Nationen nicht so zu verstehen sein dürfte, daß die Weltreiche da schon ihren Besitz verloren haben würden, sondern daß sie von da an erst abgesetzt werden würden.

Der Weltkrieg scheint der Anfang des Endes der Zeiten der Heiden zu sein. Anstatt uns zu schämen, oder entmutigt zu sein, ist das Gegenteil der Fall.

Es ist nicht nötig, etwas zu drucken und es in die Bücher hineinzulegen und zu sagen, daß sich unsere Erwartungen hinsichtlich der 'Verwandlung' der Herauswahl (Kirche) vor Oktober 1914 nicht erfüllt hätten, denn verständige Leute brauchen keinen solchen Hinweis. Sie würden von selbst sehen, daß dieser Gedanke oder die Erwartung nicht in Erfüllung ging. Sie würden aber sehen, daß die auf das prophetische Wort gegründeten Erwartungen jetzt in Erfüllung gehen. Wir befinden uns in den Tagen des Menschensohnes. Die Nationen sind zornig, und bald wird sein Zorn hereinbrechen. Dann werden die verschiedenen anderen Schritte an der Zeit sein, die weiter führen zur vollen Verwirklichung des großen Segens des Messianischen Königreiches. Wir raten den Kolporteuren und anderen darum, sich nicht durch irgendein Mißverständnis oder falsche Scham daran hindern zu lassen, die einzige Literatur zu verbreiten, die einen genauen und vernunftgemäßen Bericht darüber bringt, welches Programm die Bibel aufweist, und wie sie im voraus die Erfahrungen der Welt angedeutet hat, die bereits über uns hereingebrochen sind."

Noch ein Trostbonbon

Der "Wachtturm" 1916 (S. 32) notiert noch:

"Im englischen Wachtturm vom 15. Juli lesen wir unter dieser Überschrift 'Denn kommen wird es, es wird nicht ausbleiben' folgendes (von der Hauptversammlung in Californien vom 7. Juni:

Frage. - Was bedeutet Habakuk 2, 3? 'Denn das Gesicht geht noch auf die bestimmte Zeit, und es strebt nach dem Ende hin und lügt nicht. Wenn es verzieht, so harre sein: denn kommen wird es, es wird nicht ausbleiben.'

Es möchten verschiedene Zeiten geben, wo wir mehr zu sehen erwarten würden, als wir sähen. Wir mögen erwartet haben, um diese Zeit mehr Trübsal in der Welt wahrzunehmen. Das Jahr 1915 ist mehr als halb vorbei, und ich bezweifle sehr, daß wir alles sehen werden, was wir für dieses Jahr erwartet haben. Es sieht so aus, als ob wir den Versuch machten, die Erfüllung des Gerichtes zu beschleunigen.

Das Gesicht geht aber noch auf die bestimmte Zeit; und wir sollen nicht daran irre werden. Wir überlassen uns der göttlichen Anordnung.

Es war nicht Gottes weg, daß im Oktober 1914 alles mit einem Male losgehen sollte. Ich weiß nicht, wie viel von jetzt bis zum Oktober noch passieren kann. Wenn ich raten sollte, so wüßte ich nicht, wie ich annehmen könnte, daß von jetzt bis zum Oktober 1915 unsere Erwartungen in Erfüllung gehen könnten. Ich hoffe, daß es der Fall sein wird. Ich werde länger als bis zum Oktober warten, wenn es nötig ist. Das Gesicht ist zuverlässig. Alle diese segensreichen Dinge werden mit Bestimmtheit kommen; es ist nur eine Sache seiner Zeit und unseres Verständnisses seiner Zeit. Wenn Du und ich den Hauptbestandteil dieser ganzen Sache völlig erfaßt haben, sind wir sicherlich der Erfüllung nahe.

Es war ein sehr genaues Treffen, daß diese große Zeit der Drangsal nahe Oktober 1914 begann; und sie schreitet jetzt mit großer Geschwindigkeit fort. Keine der Gebete, daß sie aufhören möchten, werden erhört. Wenn die Zeit des Weltkrieges bloß erraten worden wäre, so wäre das sicherlich ein großer Treffer gewesen. Es wäre ein Wunder gewesen. Wir sind sehr nahe gekommen, auch wenn wir den Zeitpunkt auch nicht ganz getroffen haben."

"Notwendige" Prüfung

Unter der Überschrift "Das Vorübergehen des letzten chronologischen Zeitpunktes eine Prüfung" konnte man im "Wachtturm" 1916 (S. 76) lesen:

"Während der Ernte dieses Evangeliumzeitalters hat der Herr durch sein Wort sein Volk gleichsam nach vier verschiedenen Zeitpunkten hin gesandt - 1874, 1878, 1881 und 1914.

An jedem dieser Zeitpunkte haben die wachenden Heiligen, welche glaubten, daß das Ende des Zeitalters über die Kirche gekommen war, gedacht, daß die 'Verwandlung' kommen würde. Sie schauten danach aus. Als sie an jedem dieser Zeitpunkte anlangten, sagte aber der Herr: 'Gehe von da weiter.' Schließlich erreichten sie den letzten dieser vier Orte - den 1. Oktober 1914. Dies war der letzte Zeitpunkt, den uns die Zeitrechnung der Bibel hinsichtlich der Erfahrungen der Kirche andeutete.

Hat uns der Herr gesagt, daß wir da hinweggenommen würden? Nein! Was hat er uns gesagt? Sein Wort und die Erfüllung der Weissagung scheinen unfehlbar anzuzeigen, daß dieses Datum das Ende der Zeiten der Nationen bezeichnete. Wir folgerten daraus, daß die 'Verwandlung' der Herauswahl an oder vor jenem Datum stattfinden würde. Er ließ es zu, daß wir jene Schlußfolgerung zogen; und wir glauben, daß sich dies überall als eine notwendige Prüfung für die geliebten Heiligen Gottes erwiesen hat."

Ein merkwürdiger Vergleich

Der Erste Weltkrieg brach zwar 1914 aus. Indes bis 1917 waren die USA in ihm noch nicht de jure verwickelt. 1916 konnte man von den USA aus gesehen, immer noch den "neutralen" Beobachter spielen. Persönliche Betroffenheit, gab es dort bestenfalls in der Form, dass die WTG als internationale Organisation, auch in Ländern vertreten ist, die nunmehr aktiv in das Kriegsgeschehen einbezogen waren. Nur eben noch nicht in den USA.

Da konnte man also in der amerikanischen Ausgabe des "Wachtturms", in der Ausgabe vom 15. Februar 1916 einen Kommentar lesen, der einem heute - bestenfalls - nur Stirnrunzeln abringen kann. Positiv gesprochen. Negativ gesprochen, der die Kriterien der Kriegsverherrlichung erfüllt! Nicht in der Form, isolierte Kriegsverherrlichung. Sehr wohl aber dergestalt, dass in ihm christliches Anliegen zugleich auf einer Ebene mit den Kriegsanstrengungen gestellt wurde. Schon die Überschrift macht betroffen "Der Heldenmut in den Schützengräben". Das was sich in den Schützengräben abspielte, war also auch in damaliger WTG-Lesart "Heldenmut". Den Satz sollte man sich dreimal auf der Zunge zergehen laßen!

In der deutschen Wachtturmausgabe vom Juli 1916, wurde jener Kommentar, zuerst erschienen in der USA-Ausgabe nachgedruckt. Bilde sich jeder sein eigenes Urteil. Nachstehend seine Zitierung: (WT 1916 S. 106f.):

"Stephanus hat uns ein Beispiel gegeben. In der Tat fehlt es nicht an Beispielen, die uns zeigen, welcherlei Personen wir sein sollten. Die Schwierigkeit scheint darin zu liegen, daß nur solche von inbrünstiger Gesinnung, die vom Herrn gut geschult sind, aus den Beispielen Nutzen ziehen.

So gibt die Welt der Kirche eine wundervolle Lektion (Hervorhebung von mir.: M. G.) der Treue bis zum Tode. Wenn die Nachfolger Christi heute jenseits des Ozeans blicken und dort Millionen von Männern Haus und Familie, Geschäft, Vergnügen und alle Annehmlichkeiten des Lebens verlassen sehen, um den Herrschern ihres Landes zu gehorchen, wenn wir sehen, wie sie an die Front gehen und alle Beschwerden, Gefahren, Wunden und den Tod ertragen, so erscheint das wirklich wunderbar. Wir sagen uns: 'Welcherlei Personen sollten wir Christen doch sein!' Wir sind nicht dazu berufen, unsere Mitmenschen zu töten, sondern um ihnen Gutes zu erweisen. Wir wurden auch nicht für einen Lohn von wenigen Cents oder Groschen berufen, oder mit der Aussicht, ein Eisernes Kreuz zu erhalten oder unsern Namen auf eine Ehrentafel eingetragen zu erhalten, sondern in Verbindung mit kostbaren Verheißungen von Herrlichkeit, Ehre, Unsterblichkeit und der Miterbschaft mit unserem Herrn in seinem himmlischen Königreich. Außerdem haben wir nicht nur den Vorzug, jetzt den Menschen helfen zu dürfen, anstatt sie zu vernichten, sondern wir haben auch das gesegnete Vorrecht, ihnen im kommenden Zeitalter zu helfen, daß sie aus den Unvollkommenheiten herauskommen und die Ebenbildlichkeit mit Gott erlangen. O, welcherlei Personen sollten wir Christen sein! Wie glaubenstreu, wie ergeben!"

Russells Erinnerungen

Russell war am 31. 10. 1916 verstorben. Soll man es Vorahnung nennen? Schon in der deutschen Wachtturmausgabe vom September 1916 war eine umfängliche Erinnerungsschrift Russells abgedruckt. Sie wurde von der WTG auch noch als separate Broschüre unter dem Titel "Erinnerungen an Pastor Russell" verbreitet. Einige Auszüge daraus zitiert auch das WTG-Geschichtsbuch "Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben". Sieht man sich diesen Russell-Bericht im Detail an, so fallen zuerst schon mal die adventistischen Anfänge ins Auge. Letztere lernte er im Jahre 1868 kennen und zollt ihnen als seinen "Wegbereitern" auch entsprechende Referenz. 1876 lernt er dann das von dem Adventisten N. H. Barbour herausgegebene Blatt "Herold des Morgens" kennen. In ihm sah er offenbar einen Geistesverwandten. Barbour, zusammen mit seinem Mitarbeiter Paton, waren insbesondere durch eine auf 1874 orientierende Endzeitverkündigung, bereits gebrannte Kinder. Sie versuchten sich zwar selbst einzureden, ihre Theorie für 1874 sei doch nicht grundverkehrt. Nur das eben ein anderer Erwartungshorizont damit verbunden werden müsse. "Unsichtbare Wiederkunft Christi", angeblich in jenem Jahre erfolgt, war nun ihr Zauberwort. Auf die Stammleserschaft des "Herold des Morgens" machte jene These keinen sonderlichen Eindruck mehr. Das waren ebenfalls schon mehrfach "gebrannte Kinder".

Russell hingegen, fand jene These interessant genug und machte sie sich auch zu Eigen. In seinen eigenen Worten:

"Ich faßte den Entschluß, meine geschäftlichen Obliegenheiten einzuschränken und meine Zeit sowohl als auch meine Mittel dem großen Erntewerk zu widmen. Ich ließ Mr. Barbour heimreisen, nachdem ich ihn mit Geld versehen und ihn beauftragt hatte, in gedrängter Buchform die gute Botschaft auszuarbeiten, soweit wir sie damals verstanden, einschließlich der Zeit-Prophezeiungen. … das gedachte kleine Buch wurde fertig … und trug den Titel 'Die drei Welten'; und da auch ich der Abfassung desselben meine Zeit und meine Gedanken widmen konnte, so veröffentlichten wir es gemeinsam, indem beide Namen auf dem Titelblatt erschienen, obschon Mr. Barbour es in der Hauptsache geschrieben hatte."

Barbours Zeitschriftenprojekt, kurz vor dem auch wirtschaftlichen Bankrott, bekam durch diese neue Entwicklung, dank Russells Unterstützung, eine weitere Galgenfrist. Die nächste Krise kam im Jahre 1878. Eine sichtbare Auferstehungsaktion glaubte man in den Barbour-Russellschen Gefilden verkünden zu können. Wieder einmal wurde nichts daraus. Erneute Umdeutungen waren angesagt. Dabei erwies sich aber Barbour als nicht mehr flexibel genug. Das Team Russell-Barbour begann unaufhaltsam auseinanderzudriften.

Ideologisch schon lange ein toter Mann, wurde er von Russell nunmehr auch wirtschaftlich kaltgestellt. Die Initiative ging ab jenem Jahre eindeutig von Russell aus.

Erst mal begann er eine eigene Konkurrenz-Zeitschrift, den "Wachtturm" seit 1879 auf den "Ententeich" zu setzen. Nachdem diese entscheidende Schritt getan war, überstürzten sich die Ereignisse. In Russells Worten:

"Eine Zeitlang hatten wir sehr schmerzliche Erfahrungen durchzumachen. Die Leser des 'Wachtturms' und des 'Herald' waren nämlich dieselben, und nachdem der 'Wachtturm' zu erscheinen angefangen hatte, und die Unterstützungen unsererseits für den 'Herald' aufhörten …" Der Geschäftsmann Russell hatte alsbald für klare Verhältnisse gesorgt, und seinen einstigen Mitstreiter Barbour endgültig in das "Grab der Geschichte" verwiesen.

Das Buchprojekt "Drei Welten" passte Russell nun auch nicht mehr ins Konzept, dieweil ja da noch der Name seines Konkurrenten Barbour mit drauf prangte. Geschrieben hatte er es ohnehin - faktisch - nicht. Barbours Mitarbeiter Paton hingegen konnte sich Russell noch bis 1881 in Loyalität versichern. Dann war auch ihr Zerwürfnis perfekt. In der noch loyalen Phase beauftragte Russell den Paton, das Barbour-Buch erneut umzuschreiben. Neuer Titel dessen "Tages Dämmerung". Der Name Barbour darin war nunmehr getilgt. Offenbar war Russell nun aber schon gewitzt genug, Paton als Auftragsschreiber, als Ghostwriter zu degradieren, der zwar die Arbeit leistete, dafür von Russell wohl auch entlohnt wurde, aber keine für die Öffentlichkeit mehr sichtbaren Autorenrechte reklamieren konnte.

Nachdem auch Paton ins Nirwana verstoßen war, konnte Russell jenen Band "Tages Dämmerung" in geringfügig modifizierter Form der Öffentlichkeit als Band I seiner "Tagesanbruch"-Serie offerieren. Später in "Schriftstudien" umbenannt.

Schon im Jahre 1893 gab es davon eine von Otto von Zech veranstaltete deutsche Übersetzung, die noch in den USA gedruckt wurde. Bei Vergleichen jenes Bandes "Tages-Anbruch" (Ausgabe 1893) der sich im Bestand der Berliner Staatsbibliothek befindet. Bei Vergleichen des dortigen Textes mit der späteren "Schriftstudien"-Ausgabe, bin ich zu der Einschätzung gelangt, dass die vorhandenen Differenzen relativ marginal sind.

Anders formuliert. Der Ghostwriter Paton, lebt in Russell "Schriftstudien" Band I weiter!

Laienprediger

Eigentlich war Russell nur ein Laienprediger. Sein von ihm verwandter Titel "Pastor" sollte zwar etwas anderes suggerieren. Indes eine universitäre theologische Ausbildung, die man landläufig mit einem "Pastor" verbindet, war in seinem Falle nicht gegeben.

Es verwundert daher nicht, dass die theologische Konkurrenz immer wieder mal den Finger in diese Wunde legte. Und Russell tat ihr den Gefallen, teilweise ziemlich gereizt darauf zu reagieren. Auch die deutschen Bibelforscher wurden durchaus einmal über einige der diesbezüglichen Kontroversen informiert. Und zwar in der 1915 erschienenen Flugschrift "Der Bibelforscher" 6. Jg. Nr. 5. Aus ihr sei nachfolgend zitiert:

"Was Pastor Russell den Kritikern erwidert.

Ich bin selbst wohl mit den verleumderischen Artikeln bekannt, die von Pastor J. J. Roß veröffentlicht werden. In Kanada gibt es in Bezug auf Verleumdung nur zwei Gesetze. Das eine Gesetz ist das einfache Statut über Lügen und falsche Darstellungen; die Strafe dafür lautet auf Belastung mit den Unkosten und Schadenersatz. Der andere Artikel nimmt Bezug auf Kriminalverleumdung, und dafür ist eine Gefängnisstrafe vorgesehen.

Auf Anraten meiner Anwälte verklagte ich Pastor Roß unter dem Kriminalakt.

Das Kreisgericht sprach ihn der Verleumdung schuldig, als der Fall aber vor den Oberverwaltungsrichter kam, berief sich derselbe auf einen englischen Präzedenzfall, der lautete, daß Kriminalverleumdung nur dann vorläge, wenn die Geschworenen überzeugt wären, daß die Gefahr des Aufruhrs und der Gewalttätigkeit vorhanden sei. Da indessen keine Gefahr vorlag, daß entweder meine Freunde oder ich zu einem Aufruhr Zuflucht nehmen würden, so wurde die Klage abgewiesen. Ich konnte zwar noch eine Klage zum Schadenersatz einreichen, doch wäre das kostspielig für mich gewesen, hätte dagegen bei Pastor Roß nichts ausgerichtet.

In Bezug auf meine Ausbildung in der griechischen und hebräischen Sprache möchte ich erwähnen, daß ich keinen Anspruch auf genaue Kenntnis dieser Sprachen erhebe. Auch behaupte ich, daß unter tausend Geistlichen nicht einer eine besondere griechische oder hebräische Sprachkenntnisse besitzt. Einige griechische Worte buchstabieren zu können, hat nicht den geringsten Wert. Auch bedarf es heute nicht mehr dieser Sprachkenntnisse, um die Bibel verstehen zu können....

Diese Werke ermöglichen eine genaue und wissenschaftliche Auskunft über den Urtext der Bibel. Ich besitze alle vier Werke und habe sie gewissenhaft gebraucht. Nur wenige Universitätsprofessoren würden es wagen, eine genaue Übersetzung eines Bibeltextes zu geben, ohne die obengenannten maßgebenden Referenzwerke zu Rate zu ziehen. Einfach Griechisch und Hebräisch lesen zu lernen, ohne die Grammatik wenigstens sechs Jahre lang zu studieren, ist für wahres Bibelstudium eher hindernd als förderlich. Viel besser ist es, die anerkannten und zuverlässigen Werke … zum Nachschlagen zu gebrauchen.

Außerdem möchte ich noch auf die vielen jetzt vorhandenen Bibelübersetzungen aufmerksam machen. Ich besitze sie alle und finde sie sehr wertvoll beim vergleichenden Studium eines Textes, da die eine Übersetzung manchmal einen Gedanken gibt, der in einer anderen nicht zum Ausdruck kommt. Vor einigen Tagen zählte ich zufällig die in meiner Bibliothek befindlichen Bibelübersetzungen und fand, daß ich im Besitze von zweiunddreißig verschiedenen Übersetzungen bin.

Jener kanadische Pastor J. J. Ross, offenbar ein erbitterter Gegner Russell's wurde schon genannt. Auch Rutherford geht in seiner 1915 erschienenen Verteidigungsschrift "Ein großer Kampf in den kirchlichen Himmeln" auf diese Kontroverse ein. Nach Rutherford stellt sich die Sachlage wie folgt dar:

"Reverend J. J. Ross aus Hamilton, Ontario, veröffentlichte ein beleidigendes Pamphlet gegen Pastor Russell. Es entging ein Haftbefehl gegen Ross. Er entging dem Vollstreckungsbeamten für einige Zeit und hielt sogar seine Berufung an seiner Kirche nicht ein, um zu verhindern, dass der Beamte ihn in Gewahrsam nahm. Schließlich wurde er unter der Anklage der strafbaren Beleidigung vor George E. Jelfs, den Friedensrichter, gebracht. Nach einer Verhandlung wurde er dem Gericht überstellt. Auf Antrag lehnte das Obergericht die Einlieferung wegen eines Verfahrensfehlers ab. Ross wurde wiederum vor dem Friedensrichter gebracht.

Als der Fall zum zweitenmal zur Verhandlung kam war Pastor Russell der ein notwendiger Zeuge war, auf einer ausgedehnten Reise in Panama und anderen Teilen des Südens und kam Terminen nach, die kurz zuvor vereinbart worden waren. Ihm war das Datum der Verhandlung nicht bekannt. Ross und sein Anwalt versuchten den Eindruck zu erwecken, Pastor Russell wolle sich dem Verfahren entziehen. Sobald Pastor Russell nach Brooklyn zurückkehrte und hörte, dass er benötigt wurde, gab er dem Friedensrichter sofort bekannt, dass er bereit war, nach Kanada zu kommen. Er fuhr auch dorthin und machte seine Aussage. Wiederum verpflichtete der Friedensrichter Ross dazu, vor dem Hohen Gericht zu erscheinen, um auf eine Anklage zu antworten, die vor der Grand Jury vorgebracht werden sollte. Als der Fall zur Verhandlung vor diesem Gericht anstand, sagte der Richter, als er die Grand Jury über ihre Pflichten belehrte, unter anderem: "Wenn die Jury nicht findet, dass diese angebliche Beleidigung den Rechtsfrieden in Kanada stört, dann sollte keine Anklage erhoben werden, die Parteien sollten vielmehr einen Zivilprozess um Schmerzensgeld führen." Die Jury nahm die Anklage nicht an, und es ist offenkundig, dass sie unter dieser Anklage des Gerichts nicht anders hätte handeln können, denn Pastor Russell lebte in Brooklyn, New York, und Reverend Ross lebte in Hamilton, Ontario, Kanada, und es wäre physisch unmöglich, dass die Verleumdung den Rechtsfrieden störte, wenn die Parteien so weit voneinander entfernt lebten.

So ist zu erkennen, dass die Streitpunkte nie zu einem Prozess führten und nie in der Sache entschieden wurde. Pastor Russell machte nicht von einer Zivilklage um Schmerzensgeld Gebrauch, weil man ihn darauf hingewiesen hatte, dass dies sinnlos sei, weil Ross zahlungsunwillig sei und durch ein solches Vorgehen nicht dazu gezwungen werden konnte, einen Widerruf zu veröffentlichen.

Danach veröffentlichte Reverend Ross ein weiteres Pamphlet gegen Pastor Russell, das wegen seiner totalen Unwahrheiten und Verdrehungen der Tatsachen seinesgleichen sucht. Er suchte sich hier und da vereinzelte Absätze aus den Prozessberichten heraus, verdrehte sie, fügte etwas hinzu, stellte sie falsch dar und ließ sie als völlig anders als in ihrer wirklichen Bedeutung erscheinen. Das konnte von seiner Seite nicht unbeabsichtigt gewesen sein. Beispielsweise erhebt er unter anderem die Beschuldigung: 'Er (Pastor Russell) versuchte, einer vom Gericht festgesetzten Zahlung zu entgehen, indem er von einem Staat in den anderen floh und es für seine Frau notwendig machte, einen Auslieferungsbefehl zu erwirken, was sie auch tat und was zu einer Verurteilung des gerissenen Pastors durch ein drittes Gericht und zu einer Erhöhung der Unterhaltszahlungen führte.'

Reverend Ross wusste wahrscheinlich nicht, dass man nicht zu Auslieferungsbefehlen greifen kann, um ein Urteil durchzusetzen, in dem es um Zahlungen geht. Es wurde kein "Auslieferungsbefehl" verhängt, es gab auch kein Auslieferungsverfahren. Aber wahrscheinlich dachte Reverend Ross, die Leute würden seiner Aussage glauben, auch wenn sie falsch ist, weil er doch als Geistlicher anerkannt ist.

In dem Verfahren, in dem es um die Unterhaltszahlungen ging, urteilte das Gericht, dass Frau Russell die Summe von $ 100 pro Monat von ihrem Mann erhalten sollte. Dieses Urteil erging am 4. März 1908. Der Unterhaltsbetrag wurde niemals erhöht.

Anfang Winter 1908 wurden Vorkehrungen getroffen, das Hauptbüro für das Werk der Bibelgesellschaft … nach Brooklyn, New York, zu verlegen. Für dieses Vorhaben wurde einige Zeit benötigt, aber der Umzug, der öffentlich war, war im März 1909 vollendet. Die Pittsburgher Zeitungen erwähnten den Umzug. Pastor Russell verblieb in Pittsburgh, bis der ganze Umzug über die Bühne gegangen war; er war die letzte Bürokraft, die Pittsburgh verließ. Niemand versuchte, dem Umzug ins Gehege zu kommen, wie es ja auch tatsächlich keinen erfolgreichen Versuch in dieser Richtung hätte geben können.

Im Dezember 1908 erhob Frau Russell bestimmte Klagen, um die Besitzübertragung, die ihr Mann an die WATCH TOWER BIBLE AND TRACT SOCIETY vorgenommen hatte, für ungültig erklären zu lassen und die Zahlung von Unterhalt zu erzwingen. Zuvor, bei der Zeugenvernehmung zur Unterhaltsseite des Verfahrens auf gesetzliche Trennung, hatte Pastor Russell ausgesagt, dass sowohl er als auch seine Frau vor der WATCH TOWER BIBLE AND TRACT SOCIETY bezeugt hatten, dass sie ihren ganzen Besitz dem religiösen Werk geweiht hätten, in dem sie dem Herrn dienten, und dass man überein gekommen sei, dass der ganze Besitz der WATCH TOWER BIBLE AND TRACT SOCIETY ZU DIESEM ZWECK übertragen werden sollte. Dass der Besitz ihm gehörte und er das Recht hatte, damit nach Belieben zu verfahren. Dass er nach ihrer Trennung in gutem Glauben und in Übereinstimmung mit besagter Übereinkunft den Besitz auf die besagte Gesellschaft übertragen habe, und dass er nicht über die Mittel verfüge, den Unterhaltsbetrag zu bezahlen, den das Gericht festgesetzt hatte. Die Gelder waren bereits von der Gesellschaft aufgebraucht worden, und die Immobilien waren belastet.

Anfang April 1909, nachdem die besagte Gesellschaft und Pastor Russell nach Brooklyn umgezogen waren, wurden die besagten Fälle verhandelt, und Herr Carpenter und ich erschienen im Interesse der besagten Gesellschaft und Pastor Russells. Nach Anhörung der Anträge beriet sich das Gericht über die Angelegenheit und entschied dann, dass Herrn Russells Besitzübertragung an die Gesellschaft ein Betrug an seiner Frau sei und dass der Unterhalt zu zahlen sei. Wohlverstanden: Jemand kann einen Betrug im Sinne des Gesetzes begehen, obwohl er in völlig gutem Glauben handelt. Nebenbei bemerkt sind Entscheidungen von Gerichten nicht unfehlbar, wie wir alle wissen, denn sie werden von unvollkommenen Menschen getroffen. Zu der Zeit, als das Urteil erging, hatte Pastor Russell seinen Wohnsitz in Brooklyn, aber er war damals in Europa auf seiner halbjährlichen Vortragsreise durch Großbritannien. Man hatte ihm die Entscheidung des Gerichtes zu diesem Punkt nicht mitgeteilt. Zuvor hatte er zu mir gesagt, er werde gerne Zahlungen an Frau Russell leisten, aber er habe kein Geld, was, wie ich wußte, den Tatsachen entsprach.

Während der eben erwähnten Abwesenheit von Pastor Russell bestimmten fünf Männer, seine persönlichen Freunde, ohne sein Wissen den Geldbetrag, der benötigt wurde, um das Unterhaltsurteil zu erfüllen. Sie trieben mehr als den notwendigen Betrag unter sich selbst auf, übergaben ihn mir und schickten mich nach Pittsburgh, um gemäß dem Urteil zu zahlen. Ich fuhr nach Pittsburgh und legte mit Frau Russells Anwälten die Sache bei und zahlte ihr jeden Cent einschließlich Zinsen, den das Gericht festgesetzt hatte, zusammen mit allen Kosten des Verfahrens."

Nachdem man vorstehend die Verteidigungsrede Rutherfords zur Kenntnis nehmen konnte, sei noch eine Gegendarstellung zitiert. In Missouri, USA erschien zur fraglichen Zeit auch eine deutschsprachige Zeitschrift unter dem Titel "Der Lutheraner". Nachstehend ihr diesbezüglicher Bericht aus der Ausgabe vom 26. Mai 1914:

"Der vielgenannte Lügenapostel 'Pastor' Charles T. Russell strengte letztes Jahr einen Verleumdungsprozeß an gegen Rev. J. J. Roß einen Baptistenprediger in Hamilton, Ontario, Canada. Rev. Roß hatte folgende Behauptungen aufgestellt: daß Russell nie eine höhere Schulbildung genossen habe; daß er in der Philosophie und Theologie fast gänzlich unbewandert sei; daß er von den alten Sprachen nichts wisse, obgleich er behauptet hatte, er kenne sie; ferner, daß er nie als Prediger ordiniert worden und mit keiner kirchlichen Benennung verbunden sei; daß er zu keiner evangelischen Kanzel, weder in Amerika noch in irgend einem andern Lande zugelassen werden könnte, wo man ihn und seine religiösen Schriften kenne; daß seine Frau sich von ihm habe scheiden lassen müssen wegen nachgewiesener ungebührlicher Verhältnisse mit andern Frauen; und daß er ein Eigentum im Werte von 35 000 Dollar für 50 Dollars veräußert habe, um die Ansprüche seiner geschiedenen Frau darauf zu verhindern.

Auf diese Aussagen hin verklagte 'Pastor' Russell den Baptistenprediger vor dem canadischen Gericht. Die Klage kam auch zur Verhandlung; doch geht aus den Berichten über den Prozeß hervor, daß 'Pastor' Russell auf jede mögliche Weise dem Verhör, das er selbst geleitet hatte, auszuweichen suchte, daß er aber, als er schließlich auf dem Zeugenstande auftrat, verschiedene frühere Aussagen, die er gemacht hatte, als unwahr widerrufen mußte, und daß die verschiedenen Gesellschaften, die er gegründet hat, nur von ihm selbst kontrolliert werden. Dieses Verhör fand in Hamilton, Canada, statt. Die Großgeschworenen haben am 1. April 1913 eine Entscheidung gegen Russell abgegeben. Alle Behauptungen des Rev. J. J. Roß gegen ihn sind aufrechterhalten worden. 'Pastor' Russell hat aus wohlweislichen Gründen den Fall in den canadischen Gerichtshöfen nicht weitergeführt."

In der Ausgabe Nr. 4/1915, zitierte der "Lutheraner" einige weitere Details aus der Schrift des J. J. Ross. Bezeichnenderweise hat die WTG bis zum heutigen Tage dazu nicht im Detail Stellung genommen. Ergo, hat Ross diesbezüglich nicht "nur auf den Busch geklopft", sondern offenbar den Nagel auf den Kopf getroffen, namentlich was die finanziellen Transaktionen betrifft. In der genannten Ausgabe des "Lutheraners" kann man noch lesen:

"Nachdem das weltliche Gericht Frau Russell Scheidung gewährt und Russell zu fernerer Versorgung seiner geschiedenen Frau verpflichtet hatte, machte er den Versuch, sie für irrsinnig erklären zu lassen. Als ihm das mißlungen war, verkaufte er sein Eigentum, ein Gebäude an der Arch-Straße, Allegheny, Pa., das sogenannte 'Bible House', das einen Wert von $ 30 000 hatte für $ 50 an die 'Watch Tower Bible and Tract Society', die er selbst kontrolliert.

Wieder verklagte ihn seine Frau, und der Richter erklärte: 'Der Zweck dieser ganzen Transaktion war, seine Frau um ihren Vermögensanteil zu bringen, und war ein an ihr geübter Betrug … Er hat mit der Veräußerung des Eigentums die Rechte seiner Frau in betrügerischer Weise geschädigt.'

Als auch dieser Versuch, der Zahlung des Unterhalts zu entgehen, fehlgeschlagen war, verlegte er seinen Wohnsitz in einen anderen Staat, nach Brooklyn, N. Y. Russell wohnt jetzt Nr. 122-124 Columbia Heights, New York, N. Y. Seine Hauptkirche und Verlagshaus ist das sogenannte Brooklyn Tabernacle, 13-17 Hicks-Straße, Brooklyn, N. Y.

Darauf verklagte ihn seine Frau zum drittenmal, und zum drittenmal wurde Russell verurteilt, und zugleich wurde der Betrag des ihr zu gewährenden Unterhalts erhöht. Seine Frau lebt seither von ihm getrennt in Nr. 449 North School-Straße, Avalon, Pa. …

Im Jahre 1912 wurden der Kasse der Watch Tower Bible and Tract Society in barem Gelde $ 202 000 geschenkt … In dieser Gesellschaft allein, deren Haupt 'Pastor' Russell ist, sind zwischen vier und fünf Millionen Dollars angelegt. … Nachdem er es vorher geleugnet hatte, gestand Russell es später zu, daß er ein Aktieninhaber (Stockholder) der Pittsburgh Asphaltum Co. sei, die später die California Asphaltum Co. wurde, daß er außerdem der Gründer der Selica Brick Co. sei, die ganz und gar von dem Bible House in Philadelphia aus geleitet wird, sowie Gründer der Brazilian Turpentine Co., die er kontrolliert, der Cemetry Co. in Pittsburgh und der United States Coal and Coke Co., die mit $ 100 000 kapitalisiert ist. … Wir haben in Erfahrung gebracht, daß die United States Investment Co., die niemand anders als Russell selber ist, 28 Häuser und Bauplätze in Binghamton, N. Y., andere Bauplätze in Tacoma, Wash., eine Farm bei Rochester, N. Y. und einen Bauplatz in Buffalo, eine Farm in Oklahoma, 100 Bauplätze in Texas, ein Haus und einen Bauplatz bei Pittsburgh und 5500 Acker Land in Kentucky eignete. Dieses ist nur ein kleiner Teil des Besitztums dieser Gesellschaft."

Es folgt dann die bedeutsame Aussage: 'Obwohl Russell vielfacher Millionär sein soll, hat er doch nicht einen Cent auf seinen eigenen Namen. Wenn die von ihm geschiedene Frau nicht lebte, würde dieses der Fall sein? Die Frage beantwortet sich selbst."

Der König ist tot

Nun weilte er also nicht mehr unter den Lebenden. Der von seinen Anhängern vielfach gerühmte Pastor Russell. Schon in den ersten Tagen nach seinem Ableben, stellte sich die Frage: Wie soll es eigentlich weitergehen? Auch personell? Zwar existierte ein Testament Russell's. Aber das warf eigentlich mehr Fragen auf, als es löste. So hatte Russell (ausgehend von der Sachlage: Die Stimmberechtigung in der WTG hängt von der Höhe der eingezahlten Gelder ab) seine Stimmberechtigungen verhältnismäßig unbekannten Schwestern vermacht. Jedenfalls waren die von ihm benannte E. Louise Hamilton, Almeta M. Nation Robinson, J. G. Herr, C. Tomlins und Alice G. James, weder davor, noch danach, in der WTG-Geschichte sonderlich in Erscheinung getreten.

Zweite Rätselfrage: Zu seinen Lebzeiten war Russell als Wachtturmredakteur der "starke Mann". Was er sagte hatte Gewicht. Übergeordneten Gremien war er keine Rechenschaft schuldig. Auch das hatte sich nun geändert. Statt einen, gab es nun fünf Wachtturmredakteure, die zusehen sollten, wie sie auch miteinander klar kämen. Die Chance in einer längeren Anlaufphase, noch zu seinen Lebzeiten, sich auf diese Aufgabe vorzubereiten hatte er ihnen nicht gewährt. Zu seinen Lebzeiten waren sie nur Statisten. Was waren sie jetzt?

Wer sollte denn wenigstens in repräsentativer Hinsicht die WTG vertreten? Auch da fehlen eindeutige Aussagen Russells. Zwar hatte er zu seinen Lebzeiten schon, den Alexander H. Macmillan in gewisser Hinsicht bevorzugt. Jedoch die Frage stellt sich: War Macmillan überhaupt aus dem "Holz geschnitzt" um auch in kontroversen Situationen Standvermögen an den Tag zu legen? Rückblickend wird man diese Frage eindeutig verneinen müßen. Macmillan machte keinerlei sonderliche Anstrengungen für sich den Führerposten zu reklamieren. Im Gegenteil. Als er mitbekam woher "der Wind weht", war er es der sich mit wehenden Fahnen dem neuen starken Mann unterordnete.

Wer der neue starke Mann sein würde, war zwar von vornherein noch nicht eindeutig klar. Aber es stellte sich zunehmend deutlicher heraus. Schon anlässlich der Beerdigungsansprache für Russell, waren die Weichen im Prinzip schon gestellt. Zwei Redner besaßen anlässlich dieser Veranstaltung nur noch wesentliches Gewicht: Macmillan und Rutherford. Macmillan spielte zwar in seiner Ansprache auch noch mal (zum letzten mal) den "starken Mann". Aber doch wohl mehr in verbaler, kaum aber in substanzieller Hinsicht, wenn Macmillan bei diesem Anlass verlautbarte:

"Wir fragen uns, ob das Werk wohl in Zukunft ebenso weitergehen wird, wie bisher, ob die Wasser des Jordans noch geschlagen werden sollen, wer den siebenten Band schreiben wird, an wen wir uns jetzt wenden sollen mit all unseren verwirrenden Prüfungen und Schwierigkeiten, sowohl den persönlichen, als auch den die Herauswahl angehenden?

Der Herr hat unseren irdischen Führer hinweggenommen und einige mattherzige Arbeiter können denken, daß jetzt die Zeit gekommen ist, unsere Erntewerkzeuge hinzulegen und zu warten, bis der Herr uns heimruft. Jetzt ist nicht die Zeit, auf solche zu hören, die matt sind. Jetzt ist eine Zeit zum Handeln, zu einem entschiedeneren Handeln denn je zuvor.

Aus ganz "anderem Holz" hingegen war bei diesem Anlass die Ansprache von Rutherford geschnitzt. Klang bei Macmillan durchaus so etwas wie Resignation im Hintergrund mit, so nicht bei Rutherford. Bei letzterem kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, als wollte er schon mit dieser Rede eine Art "Vision" entwerfen. Wer sein späteres Buch "Die Harfe Gottes" kennt, der weiß, dass da in Sonderheit der Aspekt den wissenschaftlich-technischen Fortschritt im Sinne der Endzeittheorien zu deuten, einen herausgehobenen Platz einnimmt. Den heutigen mag die diesbezügliche Argumentation in der Tat lächerlich vorkommen. Wie man weiß, hat er seine Lächerlichkeit selbst noch gesteigert, insbesondere indem er später noch das Radio in das Kaleidoskop seiner Bibelauslegungen mit einbaute. 1917 war noch nicht vom Radio die Rede. Aber schon damals erfüllte er alle einschlägigen Kriterien diesbezüglich. Ohne Zweifel muss man sagen, Haupttenor von Rutherford's Begräbnisansprache stellte das Thema wissenschaftlich-technischer Fortschritt dar. Er hat sich damit zwar - historisch betrachtet - selbst zum Clown degradiert. Allein 1917 wollte man das so noch nicht sehen. Damals war das als bitterer Ernst verstandene Wahrheit. Nachstehend einige Auszüge aus dieser Rutherford-Rede:

"Es mögen einige überrascht sein, wenn ihnen gesagt wird, daß die vergangenen zweiundvierzig Jahre mehr für die Welt bedeuten in bezug auf die Zunahme der Erziehung, des Reichtums, aller Arten arbeitssparender Erfindungen und Bequemlichkeiten mehr in bezug auf Zunahme der Schutz- und Sicherheitsvorrichtungen für das menschliche Leben, als es in den ganzen sechstausend vorhergegangenen Jahren der Fall war.

Die Welt hat wahrscheinlich während dieser zweiundvierzig Jahren soviel Reichtum hervorgebracht, wie sie es während der ganzen vorhergehenden sechstausend Jahre getan hat, doch sind diese Veränderungen so allmählich gekommen, daß nur wenige sie beachtet haben.

Vor zweiundvierzig Jahren arbeiteten die Menschen von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, heute gehen wir mit schnellem Schritt dem achtstündigen Arbeitstage entgegen. Vor zweiundvierzig Jahren wurde fast alle Arbeit in der Welt im Schweiße des Angesichts verrichtet, heute geschieht sie fast ausschließlich durch Maschinen. Vor zweiundvierzig Jahren erreichte die Sämaschine gerade ihre Vervollkommnung, heute ist sie überall unentbehrlich. So ist es auch mit den tausend Bequemlichkeiten für den Haushalt. So ist es mit beinahe allen unseren sanitären Einrichtungen und Wasserleitungseinrichtungen. So ist es mit den landwirtschaftlichen Geräten, Schneide-, Binde- und Mähmaschinen, Automobile, Gasmaschinen usw. usw. In unseren Großstädten sind die modernen Bequemlichkeiten wunderbar. Salomo in aller seiner Pracht träumte nicht einmal von den Dingen, deren sich jetzt das ärmste menschliche Wesen in Amerika erfreuen kann!

Prophezeiungen, daß Ströme hervorbrechen sollen in der Wüste, und daß die Einöde blühen soll wie eine Rose, haben jetzt ihre Erfüllung, nicht durch ein Wunder, aber in Harmonie mit der göttlichen Anordnung vermehrter Klugheit unter den Menschen. Artesische Brunnen werden gebohrt, Bewässerungskanäle werden angelegt, nicht allein in dem westlichen Teil der Vereinigten Staaten und Kanadas, sondern auch in dem fernen Mesopotamien. Die Resultate sind wunderbar. Ländereien, die früher das Umzäunen nicht wert waren, haben heute einen Wert von 50 M das Ar. Das Wachsen der Erkenntnis ist vermehrt worden durch Einrichtungen der Regierung, um Kenntnisse unter dem Volke zu verbreiten. Der Boden verschiedener Gegenden soll auf öffentliche Kosten eingeteilt werden, und den Bebauern des Bodens wird kundgetan, welche Düngemittel sie anwenden müssen, um befriedigende Resultate zu erzielen.

Unter diesen Umständen überrascht es uns nicht, zu hören, daß 156 Scheffel Korn von einem Acker geerntet worden sind, und daß eine Ernte von 600 Scheffel Kartoffeln und mehr pro Acker nichts Ungewöhnliches ist. Ist nicht die Bibel erfüllt? Wer kann diese Tatsachen bestreiten? Was zeigen sie uns? Wir antworten, daß sie genau den göttlichen Erklärungen entsprechen, welche unsere Tage beschreiben. Viele sollen hin- und herlaufen, die Erkenntnis soll vermehrt werden, die Verständigen, die zum Volke Gottes gehören, sollen es verstehen. 'Und es wird eine Zeit der Drangsal sein, dergleichen nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht bis zu jener Zeit.' (Daniel 12, 4. 10. 1)

Bibelforscher sehen, daß diese große Zeit der Drangsal schon anfängt mit dem loslassen des Zornwindes in Europa. Im Lichte der Bibel bemerken sie, daß das Resultat des jetzigen Krieges eine große Schwächung der Nationen sein wird, der Regierungen der Erde und ein vermehrtes Wissen und verstärkte Unzufriedenheit unter den Völkern.

Die nächste Phase der Drangsal wird gemäß der Bibel das große Erdbeben sein desgleichen nicht geschehen, seitdem die Menschen auf der Erde waren, solch ein Erdbeben, so groß (Offenbarung 16, 18). Es ist das kein buchstäbliches, sondern ein symbolisches, Revolution.

Dann wird die dritte Phase dieses Unglücks eintreten, die dunkelste von allen; sie wird das symbolische Feuer der Anarchie sein, das unsere jetzige Zivilisation vollständig vernichten wird. Dann wird mitten in dieser furchtbaren Zeit der Drangsal, der Messias, der große König, seine große Macht an sich nehmen und sie ausüben mit dem Resultat, daß die wütenden Wogen des Meeres menschlicher Leidenschaft gestillt werden. Das Feuer der Anarchie wird gelöscht werden, und das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens wird seinen Anfang nehmen...."

Volksbote

Um der Publicity willen, gelang es der Russellorganisation, ihre Publizistik auch in einigen Tageszeitungen unterzubringen. Auf kommerzieller Basis versteht sich. Diese Blätter druckten Russells Predigten in der Regel nur ab, wenn der Dollar dazu auch entsprechend rollte. In Deutschland war es besonders die in Strehlen (Schlesien) erscheinende Wochenzeitung "Der Volksbote", die eine diesbezügliche Tribüne bot. Der "Volksbote", hart um seine witschaftliche Existenz kämpfend, war an den Bibelforschern dergestalt interessiert, dass er sie zugleich damit auch als Abonnenten seines Blattes binden konnte. Im Februar 1913 erließ der "Wachtturm" den Aufruf:

"Nicht nur sollten unsere Leser ein Exemplar des Volksboten für sich bestellen, sondern womöglich ein zweites oder noch mehr Exemplare ... Bestellungen können an uns gerichtet werden." Dennoch klagte der "Volksbote" alsbald "daß bis jetzt verhältnismäßig wenig neue Abonnenten hinzugekommen seien." Dazu der erneute "Wachtturm"-Kommentar: "Wir hoffen, daß die Geschwister nicht die Gelegenheit versäumen werden, nicht nur für sich, sondern auch zur Weitergabe an andere denkende Christen und Weltmenschen, ein oder mehrere Exemplare dieses Blattes zu beziehen." ("Wachtturm" 1913 S. 66).

Erneut findet sich in der "Wachtturm"-Ausgabe vom Januar 1915 ein Werbehinweis:

"Sollte jemand nicht in derLage sein, den Abonnementsbetrag zu bezahlen, so möge er sich an uns wenden. Andere mögen nicht vergessen für Freunde und Bekannte zu abonnieren." Das ging so bis etwa 1916 relativ gut über die Bühne. So notierte der "Wachtturm" einmal (1916 S. 98):

"Die bisher im Volksboten erschienenen Predigten umfaßten monatlich ungefähr soviel Material, wie in einer Nummer des Wachtturms erscheint." Das Kriegsgeschehen ging auch auf diesem Felde nicht spurlos vorüber. So notierte der "Wachtturm" (1916 S. 96): "Da seit geraumer Zeit keine Predigtberichte mehr von Brooklyn eintreffen, können wir voraussichtlich vom 1. Juli an keine Übersetzungen mehr an den Volksboten liefern."

Das war nun auch für den "Volksboten" in herber Schlag. Das Ausbleiben weiterer Russellpredigten implizierte ja auch, dass ein nicht unwesentlicher Teil seiner bisherigen Abonnenten, die Lust am weiteren Bezug verlieren könnte. Womit sich für den "Volksboten" erneut die Existenzfrage stellte, die ihm schon früher bekannt war. Die er aber aufgrund vorstehender Konstellation bislang immer noch abbiegen konnte.

Also tatenlos sah man dieser Sachlage seitens des "Volksboten" mit Sicherheit nicht zu. Und man fand in dem Berliner Bibelforscher Friedrich Boesenberg einen Notnagel, indem letzterer versprach die Lücke auszufüllen und weiterhin auf die Bibelforscher abgestimmte Predigten dem "Volksboten" zu liefern. Wie sich die Situation doch ändern kann. Im "Wachtturm" (1913 S. 95) wurde Bösenberg noch als Organisator einer Tagesversammlung der Bibelforscher in Berlin, mit rund 120 Teilnehmern gefeiert. Jetzt, 1916, wurde er als unerwünschter Konkurrent behandelt. Dazu der "Wachtturm" (1916 S. 98):

"Den lieben Geschwistern und Bibelklassen in Deutschland und der Schweiz, sowie den lieben Wachtturmlesern nah und fern, sei hiermit zur Kenntnis gebracht, daß die jetzt noch in dem 'Volksboten' erscheinenden Aufsätze nicht von uns geliefert werden. Der 'ernste Bibelforscher', den sich der 'Volksbote' als Mitarbeiter gesichert hat, steht leider nicht mehr mit uns in Verbindung und weicht in wichtigen Lehrpunkten von uns ab. Wir sind es den Lesern der sonst im 'Volksboten' erschienenen Predigten schuldig, daß wir auf diese Tatsache aufmerksam machen. Wir können es nicht gutheißen, daß unter dem Schein, daß Bruder Russells Glaubensüberzeugung fernerhin im 'Volksboten' zum Ausdruck gelangen soll, die Geschwister verleitet werden, jemandem, der unserer Überzeugung nach von der Wahrheit abgeirrt ist, Gehör zu schenken."

Weitere Details zur "Volksbund"-Kontroverse kann man entnehmen, in:

Manfred Gebhard "Geschichte der Zeugen Jehovas" S. 171-179.

Eine Kriegspredigt aus dem Jahre 1916

Gaebelein contra „Tagesanbruch"

Wann immer ein Buch der „Trost"-Redaktion (Zeitschrift der Zeugen Jehovas. Vorläufer des „Erwachet!") bekannt wurde, welches einen vermuteten oder tatsächlichen Gegensatz zwischen „Christentum und Religion" zum Thema hatte; man kann „fast darauf warten". „Trost" wird sich seiner annehmen, und es (in der Regel) auch positiv besprechen.

Wieder einmal wurde „Trost" in seiner Ausgabe vom 1. 9. 1942 fündig. Diesmal muss ein amerikanischer Autor herhalten, dessen Schriften (zum Teil) gleichwohl auch in deutscher Sprache erschienen. Schon in dem „Zürcher"(Harbeck)-Buch „Kreuzzug gegen das Christentum", muss er als Autorität für die eigenen Auffassungen herhalten.

Sein Name Dr. theol. A(rno) C(lemens) Gaebelein.

Über dessen Buch „Christentum und Religion" weis „Trost" mitzuteilen:

„Schon der Titel dieses Buches verweist auf den oft hervorgehobenen Gegensatz zwischen Religion und dem wahren Christentum. Der Verfasser des Buches ist jedenfalls ein guter Kenner der Religion: Dr. theol. A. C. Gaebelein, ein Gelehrter, der mit ungewöhnlicher Überzeugungskraft für die göttliche Herkunft der Bibel eintritt. (Das Buch erschien 1930 bei R. Müller-Kersting, Huttwil, Bern.)

"Eine Betrachtung über den Ursprung und die Entwicklung der Religion und die Übernatürlichkeit des Christentums" nennt der Verfasser sein Buch. In fünf Hauptteilen behandelt er folgende Gegenstände:

1. Der Begriff "Religion" und viele Versuche, die Bedeutung des Wortes zu umschreiben.

2. Die Eigentümlichkeit, daß alle Völker und Stämme, alte und neue, primitive und kultivierte, Religionen haben.

3. Der Ursprung und die Entwicklung der Religion: Fortschritt oder Rückschritt seit den Uranfängen der Menschheit?

4. Der Werdegang der Religion im Lichte der Bibel.

5. Ist das wahre Christentum eine Religion?

Die zusammengefaßte Antwort auf die letzte Frage lautet (Seite 113) wie folgt:

"Aber ist das Christentum eine Religion? Nein! Das Christentum ist übernatürliche Offenbarung ... Es ist der Inbegriff dessen, was Gott dem Menschen mitzuteilen hat; eine höhere Offenbarung als die im Christentum enthaltene kann es nicht geben. Würde das Christentum seines übernatürlichen Charakters entkleidet, so wäre es nichts weiter als eine Religion, und dann vermöchte es ebensowenig den Menschen zu erretten und den hungrigen Seelen das Brot des Lebens darzureichen, wie der Buddhismus, Brahmanismus oder Konfuzianismus. Auf jede Art und Weise sucht man das Christentum seiner über-natürlichen Wahrheiten zu berauben ..."

Man beachte auch noch einige Gedanken aus der Einleitung zu der Frage, ob das wahre Christentum eine Religion sei (Seite 111):

"Man pflegt vom Islam, vom Hinduismus, Buddhismus ... als von den großen Weltreligionen zu reden und auch das Christentum unter die großen Weltreligionen zu rechnen. Damit stellt man das Christentum mit jenen andern Religionen auf die gleiche Stufe. Dasselbe ist der Fall, wenn man den Herrn Jesus Christus unter den Religionsstiftern aufführt. Er, der etwas unendlich Höheres ist, wird oft der Stifter einer großen Religion oder auch einer der großen religiösen Führer genannt und einem Zoroaster, Buddha Gautama, Konfuzius, Sokrates und Mohammed gleichgestellt. Es ist aber verkehrt, das Christentum eine Religion zu nennen. Ebenso verkehrt ist es, den Herrn Jesus Christus einen Religionsstifter zu heißen."

Und weshalb diese Zitiererei? Der Grund kommt wohl im nachfolgenden „Trost"-Satz zum Ausdruck:

„Als Richter Rutherford mehrere Jahre später ebenfalls das Wort Religion benützte, um den großen Gegensatz zwischen Menschensatzungen oder religiösem Formenwesen und göttlicher Botschaft hervorzuheben, wurde dies geflissentlich missverstanden. ... zeigen aber, daß nicht Feindschaft gegen das wahre Christentum die Ursache der klaren Unterscheidung ist. Jesus selbst hat auf den wesentlichen Unterschied zwischen wahrer und angeblicher Gottesverehrung in Matthäus 15: 8-9 aufmerksam gemacht:

"Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, lehrend als Lehren Menschengebote." Auch entspricht es des Meisters Wort, daß nur wenige wahre Gottesverehrung üben, aber viele sind derer, die den breiten Weg gehen und irgendeine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen. Alle diese Formen beanspruchen religiös zu sein. Darum erachten wir und die Verfasser obiger Bücher es als passend, die unbiblische Form der Gottesverehrung "Religion" zu nennen.

Wieder zum Buch von Gaebelein zurückkehrend äußert „Trost" dann weiter:

„Siebenfacher Beweis

Auf Seite 114 führt der Verfasser die starken Gründe an, die ihn bewogen, wahres Christentum und menschliche Religion scharf zu trennen. Er schreibt:

"Wir wollen jetzt sehen, worin die übernatürliche Offenbarung des Christentums eigentlich besteht. Wir werden sieben übernatürliche Tatsachen hervorheben, die das Christentum kennzeichnen, und die beweisen, daß das Christentum weder ein menschliches Religionssystem noch das Ergebnis eines religiösen Entwicklungsganges ist. Diese sieben Tatsachen sind:

l. Eine übernatürliche Grundlage.

2. Eine übernatürliche Person.

3. Ein übernatürliches Erlösungswerk.

4. Eine übernatürliche Auferstehung.

5. Eine übernatürliche Botschaft.

6. Eine übernatürliche Kraft.

7. Eine übernatürliche Wiederkunft."

In dem interessanten Abschnitt über die göttliche Grundlage befaßt sich das Buch mit der Bibel und den Verkehrtheiten der Bibelkritiker, welche unter anderm beispielsweise den Schöpfungsbericht als Göttersagen und Volksmärchen bezeichnen.

Hier möge noch ein Zitat aus einem frühem Abschnitt über die Bibel folgen (Seite 72):

"Die Bibel! Das Buch der Bücher! Wie oft hört man in unseren Tagen sagen, auch andere Völker hätten ihre Bibeln. Die heiligen Schriften des Ostens sind damit gemeint, die Rig-Veda, die Zend-Advesta, die Upanishads, die Gesetze des Manu, der Koran und andere. Wir besitzen diese Bücher und haben viel Zeit auf ihr Studium verwandt. Je mehr man sich darin vertieft, desto mehr ist es einem, als ob man in einem elenden Sumpf wate. Man sucht vergeblich nach einem Lichtstrahl, nach etwas, was das Verlangen der menschlichen Seele befriedigen könnte. Je weiter man darin liest, desto dunkler kommt einem alles vor. Und vieles darin ist unsittlich. Ja teilweise sind diese "heiligen Schriften" derart schmutzig, so schauerlich unzüchtig, daß ihre Übersetzung nie unternommen worden ist. - Wir legen sie beiseite und greifen zu dem einen Buch ..."

Im Abschnitt von der übernatürlichen Person wird auf die Größe und Unvergleichlichkeit des göttlichen Lehrers und Erlösers hingewiesen; Welche Religion oder religiöse Gemeinschaft hat einen Lehrer, wie Jesus einer war, der nie etwas lehrte, was nach 19 Jahrhunderten seinen Wert verlor? Er redete nicht aus sich selbst, sondern er überbrachte die Botschaft Gottes, welche die Wahrheit ist.

"Niemals hat ein Mensch so geredet, wie dieser Mensch" (Joh. 7: 46), mußten die Diener des Hohenpriesters bezeugen, als sie ausgesandt wurden, um ihn zu ergreifen. Andere Lehrer in allen Religionen gaben Unterweisungen und sittliche Belehrungen, die mit kindischen, unvernünftigen und törichten Behauptungen vermischt waren. Der Lehrer der wahren Kirche hat sich nie geirrt.

Ein Vergleich des biblischen Berichtes mit den Berichten über orientalische Religionsstifter, etwa Buddha und ihre Legenden T Seite 126-130) zeigt den unermeßlichen Gegensatz zwischen Wahrheit und menschlicher Religion besonders deutlich.

Auch das übernatürliche Erlösungswerk Christi, wodurch allein Menschen vom Tod errettet werden können, unterscheidet die göttliche Botschaft von allen andern Menschenlehren (Seite 132):

„Welches war dieses Werk? Kam Er als Reformator, um die Aufhebung gewisser damaliger Übel, wie Sklaverei, zu vertreten? Kam Er, um vor den Menschen ein vollkommenes Leben zu führen, damit sie sein Beispiel nachahmen möchten? Kam Er als Wegweiser? Oder kam Er als Philosoph, um die Geheimnisse des Lebens zu erklären? Oder kam Er, um eine neue und befriedigendere Religion zu stiften?

Wenn dies oder ähnliches der Zweck Seines Kommens und Seines Wirkens auf Erden gewesen wäre, so stünde Er auf derselben Stufe mit Reformatoren, mit guten, tugendhaften Männern, Philosophen und Religionsstiftern, die Ihm vorangegangen sind. In diese Klasse wird Er von allen eingereiht, die den wahren Zweck seiner Sendung, für den Gott, Sein Vater, Ihn gesandt hat, verkennen ... Er kam, um zu suchen und zu erretten, was verloren ist ..."

Und dann äußert „Trost" seinerseits redaktionell:

„Daß sich die göttliche Lehre von der Auferstehung sehr stark unterscheidet von allen heidnischen und sog. christlichen Lehren religiöser Prediger über "Jenseits" und "unsterbliche Seele", ist unsern Lesern wohl bekannt. Von modernen Theologen wird die Lehre der Auferstehung gewöhnlich irgendwie bildlich umgedeutet, weil sie es nicht glauben, daß ein Mensch, der gestorben ist, jemals wieder wie Lazarus (nach begonnener Verwesung) als Mensch wie zuvor auf Erden weiterleben kann.

Hierüber schreibt Dr. theol. Gaebelein in seinem Buch (Seite 149):

"Der Modernist gebraucht wohl auch das Wort "Auferstehung", doch redet er von der Auferstehung Christi in einem ganz ändern Sinn als die Schrift. Er sagt uns, daß es eine "geistige" (sinnbildliche) Auferstehung gewesen sei. Christus lebe in Seinen Worten, durch Sein Vorbild und durch Seinen Geist. Daher redet der Modernist fortwährend von dem "Christus-Geist".

Verzeihung, ihr großen Gelehrten, aber eine "geistige Auferstehung Christi" ist barer Unsinn!"

Gemeint ist hier: eine sinnbildliche, nicht wirkliche," nur sogenannte Auferstehung, im Sinne von: Weiterleben in den Werken oder in den Jüngern, also nicht persönlich - und das ist gewiß nicht der Sinn der biblischen Auferstehung. Nein, diese Auffassung ist modern und religiös, aber nicht biblisch.

Im Abschnitt von der übernatürlichen Botschaft wird gezeigt, warum es falsch ist, die göttliche Botschaft mit einer Moralvorschrift über Charakterentwicklüng zu verwechseln (Seite 157):

"Hier haben wir einen der Fehler, die in der Christenheit verbreitet sind. Viele denken, daß zum Beispiel die Bergpredigt diese Botschaft enthalte. Die "Goldene Regel" wird als eine Botschaft hingestellt, in der Christus den Weg der Selbstverbesserung anzeige. Von den Feinden des übernatürlichen Christentums wird auch darauf hingewiesen, daß der Buddhismus ähnliche Aussprüche enthalte ..."

Interessant sind in diesem Abschnitt auch die Auseinandersetzungen mit den modernen Theologen, welche behaupten, das Johannesevangelium und die Briefe des Paulus enthalten schon eine Entstellung der reinen Lehre Jesu (Seite 159):

"Wir können nicht auf alle Gründe eingehen, warum der Jünger (Johannes), den der Herr lieb hatte, dieses Evangelium fast vierzig Jahre nach den Synoptikern (Matthäus, Markus, Lukas) geschrieben hat. Wir nennen nur einen Grund. Während dieser vierzig Jahre waren sonderbare und irrige Lehren in bezug auf die Person und das Werk Christi aufgekommen, die der Kirche viele Mühe machten. In dieser Zeit entstanden der Gnostizismus, der später soviel Unheil anrichtete, sowie andere religiöse Systeme, die in neuzeitlichen Bewegungen wieder aufgelebt sind. Um diese Irrlehren zum Schweigen zu bringen, trieb der Geist Gottes den bejahrten Johannes an, die Worte Christi niederzuschreiben.

Die Echtheit des vierten Evangeliums ist angezweifelt worden. Man hat seine Entstehung in die Mitte oder zu Ende des zweiten Jahrhunderts verlegt. Hat der Apostel Johannes dieses Evangelium nicht geschrieben, so möge einer dieser gelehrten Kritiker doch sagen, wer es geschrieben hat? Der Beweis dafür, daß kein anderer als Johannes der Verfasser ist, überragt unendlich die Bedenken der Zweifler."

Ähnlich lesen wir von den Kritikern des Apostels Paulus (Seite 162):

"Zurück zu Christo!' Das ist der Ruf, der oft in unsern Tagen gehört wird. Er hört sich gut an, aber es steckt etwas Böses dahinter. Richtig gelesen lautet er:

„Zurück zu Christo und weg von Paulus!' Paulus wird vorgeworfen, er habe als Meister des Verstandes ein theologisches und eschatologisches Lehrgebäude ausgearbeitet. Man beschuldigt ihn, dieses Evangelium und diesen Heilsplan zusammengestellt... zu haben. Man sagt, die Lehren Christi in der Bergpredigt und Seine ändern sittlichen Belehrungen hätten nichts von den Lehren des Apostels enthalten. Paulus habe sie alle erdacht und als seine Meinung verbreitet ... Aber Paulus versichert uns, daß das Evangelium, welches er predigte, ihm durch Offenbarung Jesu Christi gegeben war. Dieses Evangelium trägt das Zeugnis in sich selbst, daß es übernatürlich und nicht von eines Menschen Gehirn ersonnen ist. Diesem Evangelium ist der Stempel des Übernatürlichen aufgeprägt."

Daß es auch für Gläubige schwer ist, sich von religiösen Menschenlehren frei zu halten, zeigt der Abschnitt über die "übernatürliche Kraft". Diese Kraft ist der Heilige Geist, schreibt der Verfasser und fügt bei, daß daran festgehalten werden müsse, daß der Heilige Geist nicht ein Einfluß, sondern eine göttliche Person sei.

Alles was er sonst noch von diesem Geist berichtet, ist der Bibel entnommen und zeigt, daß diese Kraft keine Person sein kann, nach unserm Verständnis.

Im letzten Abschnitt von der Wiederkunft lesen wir (Seite 180):

"Soviel aber möchten wir doch noch sagen, daß kein wahrer Theologe die Eschatologie des Herrn Jesus Christus übergehen kann. Tut er es doch, oder behandelt er sie als etwas Nebensächliches, so wird er bald in den Nebeldunst des Modernismus geraten."

Ferner Seite 188:

"Die Modernisten meinen ferner, alle Lehren Christi von einem persönlichen Teufel und die Versuchung, der Er selbst durch letzteren ausgesetzt war, seien babylonische und persische Fabeln. Seine Voraussage von einem zweiten Kommen müsse deshalb auf die gleichen Quellen zurückgeführt werden."

Die letzten Seiten des Buches weisen dann nach, daß es ganz unmöglich ist, die Verheißung der Wiederkunft Christi und der Aufrichtung seines übernatürlichen Reiches aus dem Rahmen der göttlichen Botschaft herauszureißen. "Die Kirche wäre dann ohne Zweck und Ziel, die Welt ohne Hoffnung. Eine Nacht zunehmender Finsternis und Verzweiflung würde hereinbrechen. Der Sieg würde dann den Mächten der, Bosheit zufallen." (Seite. 150.)

Doch der Verfasser glaubt fest an die Wiederkunft Christi, welches der endgültige Beweis für die Übernatürlichkeit des Christentums sein wird. "Die Bitte: ,Dein Reich komme!' wird in der Aufrichtung Seines Reiches ihre Erfüllung finden."

Wir geben noch einiges aus den letzten Zeilen wieder (Seite 192):

"Aber seine Wiederkunft wird noch etwas anderes bedeuten. Sie wird die vollständige und endgültige Antwort auf jede Form des Unglaubens, des Rationalismus, Atheismus, Gnostizismus, Pantheismus und Evolutionismus mit sich bringen. Der Modernismus und jede andere Bewegung und Lehre, die Christus und Sein Erlösungswerk verneinen, werden mit Schande und auf immer erbleichen und versinken.

Damit schließen wir. Unsere Sicherheit, Gewißheit und Ruhe gründen sich nicht auf menschliche Religion, sondern auf den im übernatürlichen Christentum geoffenbarten Gottessohn."

In den USA gibt es sicherlich vielerlei Formen konservativen Christentums. Ein besonders „prächtiges" Exemplar davon ist offenkundig auch dieser Herr Gaebelein.

Wie man sieht, erfuhr dieser Herr Gaebelein, seitens „Trost" eine umfängliche und auch wohlwollende Besprechung. Das die aber interessegeleitet ist, dürfte auch offenkundig sein.

Wofür „bricht denn Herr Gaebelein eine Lanze"? Doch für eine Form von Religiosität, welche nicht zwangsläufig mit der von „Trost" favorisierten identisch ist. Stellvertretend im Buch das Gaebelein steht dafür auch dessen Aussage auf S. 24, und die wird nach meinem Überblick von „Trost" so nicht zitiert:

„Alfred Russel Wallace, Darwins Mitarbeiter und einer der hervorragendsten Anhänger der Entwicklungslehre, hat in seinem Werk über den Darwinismus einige bemerkenswerte Zugeständnisse in bezug auf die sittlichen und geistigen Fähigkeiten des Menschen gemacht. Während er an Darwins Abstammungslehre von der natürlichen Zuchtwahl festhält, erklärte er doch auch, daß die anderen Fähigkeiten des Menschen niemals von Tieren herstammen können.

Weiterhin zeigt er, daß diese höheren Fähigkeiten im Menschen auf eine unsichtbare Welt schließen lassen - auf eine Geisteswelt, die der Welt des Stoffes durchaus übergeordnet ist. Wallace liefert einen treffenden Beweis gegen die ganze Entwicklungslehre."

Wie immer man letzteres Zitat nun einschätzt; ob man darin einen Disput (im Ansatz) gegen die WTG sieht oder nicht. Diese Frage mag jetzt unentschieden bleiben. Eines aber ist offenkundig „Trost" entgangen. Und es ist mehr als zweifelhaft, hätte „Trost" diese Kenntnis gehabt, ob es dann noch in seinen Spalten dieses Jubelbericht über den Herrn Gaebelein gegeben hätte.

Nun kann man jene Kenntnislücke ja durchaus nachvollziehen. Der normale im Deutschsprachigem Raum lebende Bürger, hat wohl eher wenig bis gar keine Kenntnis, was an Schrifttum in deutscher Sprache, beispielsweise im Jahre 1916, in (New York, USA) erschien. Gleichwohl gibt es Stellen, wo man sich auch zu diesen Fragen sachkundig machen kann, wenn man den will. Beispielsweise in der Deutschen Bücherei Leipzig, die auch solches Schrifttum sammelt, wenn es denn ihr bekannt wurde.

Und siehe da, just im Jahre (etwa) 1916, veröffentlichte derselbe Dr. theol. A. C. Gaebelein in New York eine deutschsprachige Schrift; laut Untertitel „Für freie Verteilung zu beziehen durch den Verfasser, 80 Second Street, New York, U.S.A."

Nun hat eben genannte Deutsche Bücherei auch von diesem Angebot Gebrauch gemacht (1916 B 3068).

Noch interessanter wird es aber, wenn man den Titel dieser Schrift des Dr. Gaebelein zur Kenntnis nimmt. Selbiger lautete schlicht ein einfach:

„Die gefährlichen und falschen Lehren des 'Tages-Anbruch'. Eine Warnungsschrift."

Und quasi als Kontrast zu der umfänglichen Zitierung des Gaebelein durch „Trost" sei selbige auch noch etwas näher vorgestellt (kommentarlos). Die Kommentierung mag den der geneigte Leser für sich selbst vornehmen.

Einleitend (S. 3) schreibt da dieser Dr. Gaebelein:

„Seit eine Reihe von Jahren sind in Amerika eine Anzahl Bände erschienen, welche unter dem Namen 'Millinial Dawn' eine weiter Verbreitung gefunden haben. Dieselbe Gesellschaft, die diese Bücher herausgibt hat hundert Tausend Flugschriften über das ganze Land verteilen lassen, in welchen dieselben Lehren welche in den grösseren Büchern gelehrt werden, in gedrängter Form gegeben sind. Diese Bücher und Flugschriften aber enthalten die allerfürchterlichsten Irrlehren und sind ein reines Seelengift zu nennen.

Diese elenden Verzerrungen der göttlichen Wahrheit haben in Amerika unendlichen Schaden getan und manche teure Seele verführt.

Leider aber ist dieses böse Werk auch in andere Sprachen übersetzt worden, und der Feind hat es in verschiedenen Ländern gebraucht um Seelen zu verwirren und von der reinen Wahrheit abzuleiten.

Auch in Deutschland und der Schweiz sind diese Irrlehren aufgetaucht und diese Bände unter dem Titel „Tages-Anbruch", überall verbreitet worden, und haben auch da, wie in Amerika, unermesslichen Schaden getan. Wir haben es daher unternommen in deutscher Sprache eine kurze Blosstellung dieser Irrtümer zu veröffentlichen, um sie als Flugschrift bei den tausenden zu verbreiten."

Und diese „Blossstellung" sieht nach Gaebelein dann so aus:

„Die „Tagesanbruch" Lehre ist zuerst eine totale Verneinung der absoluten Gottheit unseres hochgelobten Erlösers Jesu Christi. Das erste was der gläubige Christ aufgeben muss, wenn er diesen Büchern Beifall schenkt und ihre Lehre annimmt, ist die Person Jesu Christi.

„Tagesanbruch" lehrt, dass der Herr Jesus nur eine blasse Kreatur ist. Vor seiner Menschwerdung war der Herr nur ein Geschöpf, und zwar höher als die Engel. Diese schändliche Lüge ist nichts neues. Sie war schon im Anfang dieses christlichen Zeitalters vom Teufel erfunden worden. Arius und andere Irrlehrer haben dieselbe verteidigt. Was der Schreiber „Russell", der diese Bücher verfasst hat, für Schriftverdrehungen gebraucht um diese Irrlehre neu aufzutischen, können wir hier nicht weiter verfolgen.

Doch Johannes 1:1 ist genügend, um diesen elenden Irrtum vollständig bloszustellen, trotz allen Spitzfindigkeiten des „Tagesanbruch".

„Im Anfang war das Wort (unser Herr und Heiland), und das Wort war bei Gott und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott."

Also die erste giftige, wiederbiblische Lehre des „Tagesanbruch" ist die Verneinung der absoluten Gottheit Christi.

Lieber Leser, wenn Er nicht Gott war in aller Ewigkeit, so haben wir keinen Heiland und keine Erlösung. Diese falsche Lehre sollte an und für sich genügend sein, dass jeder gläubige Christ diese Bücher verwirft.

Und sogar die leibliche Auferstehung des Herrn, diese grosse Fundamentallehre unseres Glaubens und Grund unserer Hoffnung ist durch „Tagesanbruch" geraubt. Seine Auferstehung war nach dieser schändlichen Lehre nur eine geistliche. Was wurde dann aber aus dem Leibe des Herrn?

„Der Leib unseres Herrn wurde auf übernatürliche Weise aus dem Grabe entfernt ... Ob Er in Gase aufgelöst wurde, oder ob Er noch irgendwo aufbewahrt wird als das grosse Denkmal der Liebe Gottes, oder des Gehorsams Christi, oder unserer Erlösung, kann Niemand wissen".

Man kann kaum glauben das Bibelgläubige einem solchen Unsinn Gehör schenken können.

Dann lehren diese Bücher, dass der Herr Jesus erst nach seiner Auferstehung göttlich wurde. Dieses geschah als Belohnung für Seinen völligen Gehorsam. Für einen solchen Glauben der Verwandlung gibt es noch nicht einen einzigen Schriftgrund. Es ist dasselbe wie die römischen Götzendiener sich vorgestellt haben, dass ihre Helden nach ihrem Tode den Göttern gleich werden. Die Schrift lehrt deutlich. Jesus war immer Gott in Ewigkeit; Er war Gott geoffenbart im Fleische und in der Auferstehung ist Er derselbe.

Und was lehrt dieser „Tagesanbruch" (ein besseres Wort wäre „Nachtanbruch") vom zweiten Kommenm Jesu Christi? Hier besonders ist es wo wir Satans Spuren genau entdecken.

Und denke nur, lieber Leser, diese neue Lehre behauptet dass der Herr Jesus schon gekommen ist. Er soll im Jahre 1874 gekommen sein, und nun besteht schon seit dreissig Jahren das tausendjährige Reich Gottes, denn die Schrift lehrt, dass mit der Wiederkunft Christi das Reich Gottes anfängt und Satan gebunden wird. Braucht es noch weitere Beweise diese falschen Lehren bloszustellen?

Schliesslich ist die Behauptung in „Tagesanbruch" aufgestellt, dass dieses ganze Zeitalter in 1914 endet. Dass auch dafür kein Schriftgrund vorhanden, braucht keiner weiteren Erwähnung.

„Tagesanbruch" lehrt eine andere gottlose Lehre, die Lehre der Wiederbringung aller Dinge und schliessliche Erlösung der Gottlosen. Diese Lehre wurde von einem gewissen Henry Dunn erfunden, obschon der Satan früher andere Werkzeuge hatte durch welche er die alte Lüge: „Ihr werdet nicht des Todes sterben" verbreitete.

Nach dieser Lehre würden die Gottlosen (mit wenigen Ausnahmen) am Anfang des tausendjährigen Reiches auferweckt und in ihren früheren Stand zurückgebracht werden, und dann in einer neuen Probezeit Sünde und Versuchung überkommen, so dass sie nicht zu sterben brauchen.

Zum Schluss geben wir das Zeugnis eines frommen amerikanischen Professors, Herrn M., der sich über „Millenial Dawn (Tagesanbruch)" also ausspricht:

„Dies ist „Tagesanbruch", ein Gemisch von Unitarismus, Universalismus, zweite Probezeit und Swedenborgischer Methode der Bibel Auslegung. Welche unendliche Unehre wird dem Sohne Gottes angetan, der zuerst als eine geistliche Kreatur dargestellt wird, dann als ein blosser Mensch, und erst nach seinem Tode soll Er göttlich geworden sein.

Derjenige welcher auf Golgatha starb, soll ein Mensch und nur ein Mensch gewesen sein. Unsere Erlösung beruht auf dem Werke eines Menschen wie wir selbst sind, ausgenommen, dass Er ohne Sünde war. Die Bibel sagt mir aber, das mein Heil ausgewirkt worden ist durch Einen, der sowohl Gott als Mensch war, der göttlicher Mittler Jesum Christum (Apostelg. XX:28). Er, der jetzt zur Rechten des Vaters ist, soll nichts Menschliches an sich haben, denn nach der Lehre von „Tagesanbruch" ist sein Leib nie auferweckt worden.

Ist dies nicht dasselb wie wenn der ungläubige Renan sagt:

„Der Stein von Seinem Grabe ist nie weggewältz worden."

Und doch ist auf dem Titelblatt des Buches zu lesen: „Für Bibelforscher."

Unter allen Büchern in der englisch sprechenden Welt ist dieses eines derjenigen welche die meisten Irrtümer enthalten. Möge Gott in Seiner Barmherzigkeit Sein Volk bewahren vor dem Gifte des Betrugs, das es enthält."

Der nächste Jahrgang   1917

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