Annotationen zu den Zeugen Jehovas

"Die Kurve bekommen"

Vor 1914 war das Schüren der Endzeiterwartung angesagt. Nicht mehr im eigentlichen Jahre 1914. Jetzt war die WTG-Devise, das ganze ins Unverbindlichkeitsgeplänkel umzuleiten. Auch an etlichen Stellen im "Wachtturm"-Jahrgang 1914 registrierbar. So auch in der nachstehend zitierten Stellungnahme aus der Januarausgabe 1914 des WT:

"Es ist eine Tatsache, daß ungeachtet der Festigkeit unserer Stellung und unserer Hoffnung, daß unsere Annahme sich bestätigen werden, wir uns nichts destoweniger auf Glauben und nicht auf Wissen stützen. Es mag einige geben, bei denen der Glaube fast so stark und so überzeugend sein mag wie das Wissen. Trotzdem handelt es sich nicht um Wissen, sondern um Glauben. Wir müssen die Möglichkeit zugeben, daß uns in bezug auf die Chronologie ein Fehler unterlaufen sein könnte, obschon wir nicht zu sehen vermögen, wo ein Fehler in der Berechnung der sieben Zeiten der Nationen, die gegen den ersten Oktober 1914 ablaufen, gemacht sein könnte.

Wenn andere hinsichtlich eines anderen Datums in der gleichen Weise überzeugt sind, so sollten wir, wenngleich wir ihre Ansicht nicht zu teilen vermögen, deswegen doch nicht ihre Gliedschaft an dem Leibe Christi in Frage stellen. Wir sollten vielmehr sagen: Sei es, daß eure Berechnung die richtige ist, oder sei es, daß wir recht haben. Wir müssen immerhin zugeben, daß die Zeichen der Zeit, wie wir sie lesen, klar andeuten, daß der Meister nahe ist, ja, daß er vor der Tür steht, und daß sein Königreich bald die Herrschaft übernehmen wird. Das bedeutet, daß die Dinge, die wir erwarten gewißlich vollendet werden, einerlei, ob darüber noch ein Jahr, zehn oder zwanzig Jahre vergehen werden. Die Kirche (Auswahl) wird gesammelt, die Messianische Herrschaft der Gerechtigkeit wird anfangen, und die vorher verkündigte große Zeit der Drangsal wird diesen Ereignissen vorausgehen. Die allgemeinen Tatsachen sind viel wertvoller und wichtiger, als lediglich der Tag oder das Jahr des Eintreffens desselben. Die Bruderliebe bleibe. Lassen wir es nicht zu, daß irgendein Wortstreit bezüglich eines Jahres oder einzelner Tage die kostbaren Bande der Liebe zerreiße, die uns mit dem Herrn und allen denen verbinden, die in Wahrheit sind.

Nichts destoweniger hat wahrscheinlich bei uns allen die Neigung vorgeherrscht, als Resultat des Ablaufes der Zeiten oder Jahre der Nationen insbesondere an die Zeit der Drangsal für die Welt zu denken, nach ihr auszuschauen, oder sie täglich gegen Oktober 1914 zu erwarten. Vielleicht haben wir in etwa die Tatsache außer acht gelassen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach das große 'Babylon' gerichtet werden wird, ehe die große Drangsal über die Welt kommt. Dem Schreiber hat sich während der letzten 14 Tage mit großem Nachdruck der Gedanke eingeprägt, daß, wenn man das Hereinbrechen der großen Drangsal der Welt zum ersten Oktober 1914 oder vor dieser Zeit erwarten wollte, man staunenerregende Dinge innerhalb der Zwischenzeit zu gewärtigen haben müßte. …

Nach unserm Verständnis stellt hier die Erde die gegenwärtige soziale Ordnung dar, während die Himmel die kirchliche Ordnung der Dinge darstellen. Wir finden nun, daß die Himmel mit dem gewaltigem Geräusch einer großen Bewegung, einer großen Verwirrung vergehen werden, und daß ihre Elemente oder Bestandteile, in der Hitze oder in dem Brande jener Zeit aufgelöst, schmelzen werden. Danach wird die Erde oder die soziale Ordnung der Dinge ebenfalls verbrannt oder verzehrt werden durch die Drangsal jenes Tages, an welchem die gegenwärtige soziale Ordnung vernichtet und alles Gesetz und alle Ordnung durch Anarchie gestürzt werden wird. Wenn wir daher erwarten, daß die gesellschaftliche Ordnung innerhalb eines Jahres von der Drangsal ergriffen werden wird, so scheint dies besagen zu wollen, daß die gegenwärtige religiöse Einrichtung vorher zusammen brechen müßte. Aber wird dies der Fall sein?

Daraus ergibt sich, daß die Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher sowohl als auch andere, die von dem Bündnis nicht aufgenommen worden sind, Zwangsmaßregeln unterworfen sein werden. Die Wahrheit wird in den Straßen fallen. Die Gerechtigkeit wird sich unter dem Druck der neuen Verhältnisse keinen Eingang verschaffen können. Eine Zeitlang wird es scheinen, als sei ein großer christlicher Sieg errungen worden, in welchen sich einerseits das Papsttum und andererseits der verbündete Protestantismus - der nicht mehr protestiert - teilen werden. Wir sehen auch schon die beiden Teile der Himmel zusammenrollen, indem sie sich zum gegenseitigen Schutze immer näher kommen.

Aber der Triumph der neuen Ordnung der Dinge wird nur von kurzer Dauer sein. Die Volksmassen, die jetzt nicht mehr unwissend und dumm sind wie in den finstern Zeitalter, werden die wahre Sachlage begreifen und an der großen 'Babylon' - die bereits vom Herrn verstoßen ist - das vorhergesagte Gericht vollziehen. Sie wird gleich einem großen Mühlstein ins Meer geworfen werden, um sich nie wieder zu erheben. …

Nun erhebt sich die Frage: Kann dieses alles im laufe eines Jahres stattfinden? Wir antworten: Ja, es würde möglich sein! Aber die zweite Frage ist: Ist es wahrscheinlich? Und die Antwort lautet: Nein; es ist kaum anzunehmen, daß soviel in einem Jahre zuwege gebracht werden würde! Hier haben wir also eine offene Frage, bezüglich deren ein jeder sich sein eigenes Urteil bilden muß.

Der besondere Punkt, den wir jetzt hervorheben, ist der, daß wir wenn es schwierig, obgleich nicht unmöglich, finden, zu sagen, daß diese Dinge innerhalb eines Jahres zustande kommen könnten, durchaus freundlich und duldsam sein sollten solchen Brüdern gegenüber, die überzeugt sind, daß diese Dinge nicht innerhalb eines Jahres Platz greifen werden, oder, die denken, daß unserer chronologischen Ansicht ein Mangel anhafte."

"Andere organisierten das große päpstliche System"

Im März 1914 schrieb der "Wachtturm"

"Wie wir schon darauf hingewiesen haben, sind wir keineswegs sicher, daß dieses Jahr 1914 einen so radikalen und schnellen Wechsel der Zeitverwaltung bringen wird, wie wir ihn erwartet haben. Es geht über unser Fassungsvermögen hinaus, uns eine Vorstellung davon zu machen, wie in einem Jahre alles zur Vollendung gelangen kann, was nach der Schrift als dem Anfang der Friedensherrschaft vorausgehend erwartet werden kann. Wir wissen wem wir geglaubt haben. Wir haben unser Leben dem Dienste Gottes bis in den Tod geweiht, ungeachtet dessen, ob der Tod in diesem Jahre oder zu irgend einer andern Zeit erfolgt.

Wir wissen, daß das Volk Gottes in dieser Hinsicht Enttäuschungen erlebt hat. Die Juden wurden in ihren Erwartungen enttäuscht. Die Christen in dieser laodicäonischen Zeitperiode waren zuerst enttäuscht, indem sie nicht klar verstanden, was sie zu erwarten hatten. Während der ersten Verfolgungen der Herauswahl meinte man, daß diejenigen, welche litten, bald in die Herrlichkeit eingehen würden. Man dachte, daß das Königreich nahe sei. Einige der Enttäuschten fuhren fort, zu warten und zu hoffen und zu beten. Andere organisierten das große päpstliche System und behaupteten, daß die Kirche ihre Herrlichkeit jetzt erlangen müsse, daß das Königreich des Messias da sei, und daß der Vertreter des Messias auf seinem Throne sitzen und als Verkörperung des Messias die Königreiche der Welt in Unterwürfigkeit bringen müsse.

Diese Ansicht hat in verschiedener Hinsicht unheilvoll gewirkt, denn es hat die ganze Christenheit 'trunken' gemacht. … Selbst heute noch sind viele verwirrt. Einige sind, nachdem sie aus der Finsternis herausgekommen sind, in andere Irrtümer geraten. Die Mehrheit hat allen Glauben an die Prophezeiungen verloren. Aber Gott hat alle diese Zustände vorhergesehen und vorhergesagt, und sie werden das göttliche Programm nicht stören. Das Gesicht soll zur bestimmten Zeit deutlich gemacht werden.

Wir vermögen die Zeitrechnungen nicht mit einer solch absoluten Sicherheit zu lesen wie die Lehren, denn die Zeit ist in der Bibel nicht so deutlich ausgedrückt wie die Grundlehren. Wir wandeln immer noch durch Glauben und nicht durch Schauen. Wir sind indes nicht ungläubig, sondern wir glauben und warten. Wenn es sich später herausstellen sollte, daß die Herauswahl im Oktober 1914 nicht verherrlicht ist, so werden wir uns mit dem Willen des Herrn zu begnügen suchen, welcher Art er auch immer sein mag.

Wir glauben, daß viele, die den Wettlauf nach dem Kleinod laufen, selbst dann im Stande wären, Gott für die Chronologie von Herzen zu danken, wenn die Berechnungen um ein Jahr oder auch um mehrere Jahre von der Wirklichkeit abweichen sollten. Wir glauben, daß die Chronologie ein Segen ist. Wenn wir durch sie einige Minuten oder einige Stunden früher am Morgen aufgeweckt worden sind, als es sonst geschehen sein würde, dann ist es gut so. Diejenigen, die wach sind, erlangen den Segen.

Wenn das Jahr 1915 vorbeigehen sollte, ohne daß die Herauswahl vollendet und die Zeit der Drangsal hereingebrochen ist, so möchten einige darin eine Kalamität erblicken. Bei uns würde dies nicht der Fall sein. Wir werden uns so sehr wie irgend jemand freuen, wenn unsere Verwandlung von der irdischen zur geistigen Stufe vor dem Jahre 1915 erfolgt - und dieses erwarten wir. Aber wenn dies nicht des Herrn Wille sein sollte, so würde es auch unser Wille nicht sein. Wenn nach der Vorsehung des Herrn die Zeit fünfundzwanzig Jahre später kommen sollte, so würde der Wille des Herrn auch unser Wille sein....

Die Differenz würde lediglich darin bestehen, daß die Zeiten der Aufrichtung des Königreiches sich um einige Jahre verzögern würde. Wenn der Zeitpunkt Oktober 1915 vorübergehen sollte, während wir uns noch hienieden befinden und die Dinge noch im wesentlichen so gehen wie heute, während die Welt in ihren Bemühungen, schwebende Streitigkeiten zu schlichten, anscheinend Fortschritte macht, die Zeit der Drangsal noch in Aussicht steht, und die Namenkirche noch nicht verbündet ist, so würden wir sagen, daß uns in unserer Zeitrechnung irgend ein Irrtum unterlaufen ist. In diesem Falle würden wir die Prophezeiungen weiter durchforschen, um zu sehen, ob wir einen Irrtum entdecken können. Und dann würden wir uns fragen: Haben wir ein wichtiges Ereignis zur richtigen Zeit erwartet? Der Wille des Herrn könnte dies zulassen. Unsere, d. h. der Herauswahl Erwartung geht dahin, daß unsere Verwandlung nahe ist. Der Welt können keinerlei Wiederherstellungssegnungen zuteil werden, solange die Herauswahl nicht verherrlicht ist.

So weit wir es bis jetzt zu beurteilen vermögen, würde das Nichteintreffen der erwarteten Dinge im Jahre 1915 oder früher besagen, daß alle chronologischen Berechnungen so wie wir sie haben, sowie unsere Ansicht über die Ernte usw. falsch seien. Aber wir haben keinen Grund zu glauben, daß sie falsch sind."

1914er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

 

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