Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Im Vollrausch

„Reformation oder Untergang der sozialen Ordnung". Mit dieser plakativen Überschrift macht der deutsche „Zions Wacht Turm" vom Oktober 1907 an herausgehobener Stelle (ganz zum Anfang dieser Ausgabe) auf. Offenbar glaubt man, damit einen entscheidenden Nerv der aktuellen Tagespolitik beschrieben zu haben.

In der Sache wird eine von Dritten gemachte Aussage (also keine Eigenaussage) zitiert; gekoppelt allerdings mit der Empfehlung:

„Jeder Wachtturmleser sollte Band IV, Der Tag der Rache (später umbenannt in: Der Krieg von Harmagedon) lesen, damit er im Lichte wandele:"

Russell glaubt also sich dieser gesellschaftspolitischen Analyse anschließen zu können, ja sie selbst zu vertreten. Der entscheidende Knackpunkt erweist sich in der Frage eines möglichen Lösungsansatzes. Und da orientiert Russell in der Tat - einzig und allein - auf das vermeintliche „göttliche Eingreifen". Im Bilde gesprochen. Sein Rezept: Eine möglichst große Dröhnung mittels Alkohol, um im Vollrausch, die Geschehnisse halbwegs zu „verkraften". Das dies letztendlich eben keine Lösung ist, muss ebenfalls klar ausgesprochen werden.

Im einzelnen zitiert Russell:

„Reformation oder Untergang der sozialen Ordnung. Hierüber hielt Dr. Jakob Gould Schurman, Präsident der Cornell-Universität in den Ver. Staaten, jüngst in New York eine Ansprache. Er griff das gegenwärtige industrielle System an und erklärte, daß, wenn seitens der Kapitalisten nichts für die Tagelöhner geschähe, so würde am Ende eine soziale Revolution ausbrechen. Seine Äußerungen riefen eine Sensation hervor. Er sagte z. T.:

'Dampf, Elektrizität und das angehäufte Kapital verdrängen in unseren Tagen die kleinen Fabrikanten und Kaufleute. Die Gelegenheit für junge Männer, unabhängige Erzeugen oder Käufer und Verkäufer von Waren zu werden, wo die Geschäfte nach einem Maßstab von Millionen, anstatt von Tausenden und Hunderten von Dollar betrieben werden, ist unendlich geringer, als zur Zeit unserer Väter.

Der Tagelöhner fühlt, daß er und seine Kinder der Armut preisgegeben wird, und erhebt sich zum Aufstand gegen ein wirtschaftliches System, das so etwas ermöglicht. Er protestiert dagegen, daß das Kapital einen so großen Anteil erhält an den Produkten, die die Arbeiterschaft erzeugt. Sein Heilmittel, wenn er überhaupt ein solches hat, ist die Entäußerung des Privatkapitals im öffentlichen Interesse und die Gründung eines Sozialistischen Staates, in welchem alle Arbeiter eine Belohnung erhalten, wie sie ihnen gebührt.

Irgendwie - ich weiß nicht wie, doch irgendwie - müssen die Organisatoren, Finanzleute und leitenden Männer unserer modernen Anstalten für Produktion und Einrichtungen für Transport ein Mittel ersinnen, wodurch die Männer, von deren Arbeit sie abhängig sind, an dem Unternehmen Teilhaber werden. Die gegenwärtige Unzufriedenheit und das zum Kampfe reizende Gefühl von Ungerechtigkeit muß beseitigt werden, wenn unser Wirtschafts- und Industrie-System Bestand haben soll."

Zu dieser Zitierung kommentiert Russell dann noch:

„So sehen wir von Zeit zu Zeit, wie etliche wahrnahmen, was im Anzuge ist, wenngleich sie nicht mit uns gehen und über die Lehren der Bibel über diese Dinge in Unwissenheit sind. Sie 'verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen.' Unser Herr sagt, daß Seine Nachfolger ihre Häupter emporheben und frohlocken können, wissend, daß ihre Erlösung nahet."

1907er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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