Annotationen zu den Zeugen Jehovas

"Es könnte sein, oder auch nicht"

Motto:

Wenn der Hahn kräht auf dem Mist. Ändert sich das Wetter; oder es bleibt so wie es ist

Auch der Kreis um die "Aussicht" fieberte dem Jahre 1914 zu. Aufmerksam bis gierig beobachtete man alle Äußerungen, die Russell zu diesem Thema abgab. Im Jahre 1907 meinte die "Aussicht" diesbezüglich wieder einmal fündig geworden zu sein. In eigener Übersetzung aus dem englischen 'Watchtower' informierte man darüber, was nun der "allerletzte Schrei" in Sachen 1914 sei. In der November-Ausgabe 1907 der "Aussicht (S. 491) gibt es dazu einen umfänglichen "Wissenschaft und Glaube betreffend Zeitrechnung" überschriebenen Artikel, der im nachfolgenden näher vorgestellt sei:

"Ein lieber Bruder fragte kürzlich: Können wir absolut sicher sein, daß die Zeitrechnung, wie sie in den Bänden von 'Milleniums Tagesanbruch' dargestellt - richtig ist? Daß die Periode der Ernte anno 1874 begann und im Jahre 1914 enden wird in einer weltenweiten Trübsal und Revolution, wodurch all die gegenwärtigen Ordnungen und Einrichtungen gestürzt werden, um dem gerechten Reiche des Königs der Herrlichkeit und seiner Braut, der Kirche Platz zu machen?

Als Antwort hierauf bestätigen wir, was wir schon öfters in den Bänden, Wachttürmen und Briefen und auch mündlich hervorgehoben haben, nämlich, daß wir für unsere Berechnungen nie eine unfehlbare Richtigkeit beanspruchen, wir haben nie behauptet, daß sie Wissenschaft seien, noch auch daß sie auf unbestrittenen Beweisen, Tatsachen und Kenntnissen beruhen; wir haben aber allezeit hervorgetan, daß sie auf Glauben sich stützen. Wir haben die Beweisgründe so klar als möglich dargelegt, ebenso die Schlußfolgerungen des Glaubens, die wir daraus ziehen und haben andere eingeladen, davon so viel oder so wenig anzunehmen, als ihr Herz und Verständnis fassen und unterstützen kann.

Viele haben diese Beweisführungen geprüft und angenommen, während andere sie nicht unterstützen können. Diejenigen, welche sie im Glauben zu erfassen vermochten, scheinen dabei besondere Segnungen empfangen zu haben, nicht bloß bezüglich prophetischer Harmonie, sondern auch in andern Teilen der Gnade und Wahrheit. Wir haben die nicht verurteilt, welche nicht sehen konnten, aber uns mit denen gefreut, die durch ihre Glaubensübung besondere Segnungen empfingen: 'Selig sind eure Augen, daß sie sehen und eure Ohren, daß sie hören.'

Es ist nun möglich daß solche, die 'Tages-Anbruch' gelesen haben, unsere Schlußfolgerungen noch verstärkten und dann also weitergaben; wenn sie das aber taten, so geschah es auf ihre eigene Verantwortung hin. Wir haben mit Nachdruck empfohlen und tun es heute noch, daß Gottes Kinder das aufmerksam lesen, was wir dargeboten haben - die Schriftstellen, deren Anwendung und Auslegung - und dann ihr eigenes Urteil bilden. Wir versteifen uns nicht auf unsere Ansichten als unfehlbar, noch schlagen oder beschimpfen wir solche, die nicht mit uns übereinstimmen, sondern betrachten alle an das teure Blut geheiligten Gläubigen als 'Brüder'. Im Gegenteil werden wir aber von denen geschmäht und geschlagen, die mit uns differieren, weil sie nicht willkommen heißen, wenn sie mit Hammer und Zunge einen Splitter zu entfernen suchen, welche sie in unserm Auge des Verständnisses entdeckt zu haben glauben. Es sind unsere Kritiker, die ihrerseits gewöhnlich auf Unfehlbarkeit Anspruch machen. Wir gehen aber weiter, der Apostel Rat und Beispiel befolgend:

'Ich glaube, darum rede ich' - ob nun andere hören, oder sich weigern zu hören. Ist das nicht im Einklang mit dem Geist Christi? ...

Es gibt aber solche, die, wenn sie an einen wenig bedeutenden Punkt stoßen, über welchen sie differieren, nun meinen, das ganze Erntewerk müsse überworfen oder wenigstens eingestellt werden, bis der betreffende Punkt zu ihrer vollen Zufriedenheit erledigt werde. Solche machen allem Anschein nach aus Maulwurfshügeln Berge und vergessen, daß - wenn die gegenwärtige Bewegung unter dem Volk Gottes überhaupt unter der Leitung und Aufsicht des Herrn vor sich geht - der Herr selbst verantwortlich ist und nicht sie - und daß man ihm wohl zutrauen darf, daß er Zweck und Ziel seines Planes nach seinem Gefallen zu erreichen vermag, ohne dabei weder den Buchstaben noch den Geist seiner Gebete zu verletzen.

Zurückkommend auf die Anfrage betreffend die Chronologie führen wir von 'Millenium-Tages-Anbruch' Bd. II Seite 37 folgendes an:

'wenn wir nun mit der Frage - Wie lange ist's her seit der Erschaffung Adams? - den Anfang machen, dürfen wir zuversichtlich sein, daß der welcher die Prophezeiungen gab mit der Bestimmung, daß sie in der Zeit des Endes verstanden werden sollte, in seinem Worte auch die nötigen Daten vorgesehen habe, die es uns ermöglichen, diesen Prophezeiungen ihren richtigen Platz anzuweisen. Wer jedoch diese Dinge so deutlich zu finden erwartet, daß sie schon den bloß oberflächlichen Leser oder gar den unaufrichtigen Zweifler überzeugen, der wird sich getäuscht finden. Gottes Zeichen und Zeitläufe sind so gegeben, daß sie zu dieser unserer Zeit nur die zu überzeugen vermögen, welche Gottes eigentümliche Verfahrensweise durch ihr Vertrautsein mit ihm verstehen können. Dazu ist diese Auskunft erteilt worden, 'auf daß der Mensch Gottes sei vollkommen - zu jedem guten Werke - völlig geschickt (ausgerüstet) 2. Tim. 3:17. Solche wissen gar wohl, daß sie auf allen Wegen, auf die der Vater sie hinführt, im Glauben wandeln müssen und nicht im schauen.

Allen denen aber, die so zu wandeln bereit sind, hoffen wir bei jedem Schritt gewisse Aussprüche Gottes - für den vernünftigen Glauben eine sichere Grundlage - bieten zu können.

Im gleichen Kapitel hoben wir auch hervor, daß manche Kettenglieder der Chronologie in der heiligen Schrift und Weltgeschichte 'ohne Zusammenhang, unterbrochen, übereingreifend und so verwickelt' seien, 'daß wir von ihnen zu keinen bestimmten Schlußfolgerungen kämen. Wir würden also - wie andere - genötigt sein, uns zu sagen, daß man über diesen Gegenstand nichts bestimmtes wissen könne, wäre es nicht, daß das Neue Testament uns diesen Mangel ersetzt.' (Siehe Seite 47). Auf diese Weise suchen wir darzulegen, daß die Chronologie nicht auf Tatsachen aufgebaut ist, sondern daß sie nur durch Glauben empfangen werden kann.

Wir empfehlen aber wiederum ein frisches Betrachen des ganzen Bandes. Wenn dann einige trotz dieser Anregungen ihren Glauben an unsere Chronologie verlieren werden, so wird doch durch dieselben bei vielen andern der Glaube und derselbe mächtiglich gestärkt. Wir erinnern aber aufs neue daran, daß die schwachen Glieder der Chronologie von verschiedenen andern Weissagungen ergänzt werden, welche sie auf so merkwürdige Weise unterstützen und bestätigen, daß der Glaube an die Richtigkeit der Chronologie fast zur Wissenschaft wird.

Die Veränderung um ein einziges Jahr würde die Harmonie wunderschöner Parallelen ganz zerstören, weil ein Teil der Weissagungen auf die Zeit vor Christo zurückgreifen und andere auf die Zeit nach Christo, während wieder andere auf beide sich beziehen. Wir glauben, daß Gott jene Weissagungen 'zu seiner Zeit' verstanden haben wollte; und wir glauben, daß wir sie nun verstehen - und sie sprechen zu uns eben durch diese Chronologie. Wird nicht gerade dadurch die Chronologie bestätigt? Für den Glauben freilich, sonst aber wohl nicht. Unser Herr erklärte: 'Die Verständigen werden es beachten'; er ermahnte uns zu wachen, damit wir erkennen mögen; und diese Chronologie ist es auch, die uns überzeugt (wer sie im Glauben empfängt und zu fassen mag), daß das Gleichnis von den 10 Jungfrauen jetzt in Verwirklichung begriffen ist, daß der erste Ruf im Jahre 1844 wahrgenommen wurde, während der zweite: 'Siehe, der Bräutigam' seit 1874 vernommen worden ist.

Dieser Chronologie und keiner andern schreiben wir zu, daß wir aufgeweckt wurden und unsere Lampen reinigten, in Übereinstimmung mit dem Apostelwort: 'Ihr aber, Brüder sei nicht in Finsternis, daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife.' Wenn unsere Chronologie nicht zuverlässig ist, dann haben wir keine Idee, wo wir stehen im Strome der Zeit und wann der Morgen anbrechen wird. Bischof Usher setzt nach seiner Chronologie das Ende der 6000 Jahre um ein ganzes Jahrhundert ferner in die Zukunft und würde damit alle die prophetischen Anwendungen zunichte machen, die wir erkannt haben und dadurch gesegnet worden sind. Und wenn wir sagen: 'Unsere' Chronologie, so meinen wir damit bloß die, welche wir gebrauchen - die biblische Chronologie, die aller Kinder Gottes Eigentum ist, so viele ihrer sie wertschätzen.

Tatsächlich ist sie denn auch in der gleichen Form schon lange vor uns gebraucht worden, gleichwie auch verschiedene Weissagungen, deren wir uns bedienen, von den Adventisten - wenn auch zu andern Zwecken gebraucht worden sind; so sind auch verschiedene Lehren, die wir unterstützen und die uns so neu und frisch scheinen, in dieser oder jener Form schon lange verkündigt und verfochten worden wie z. B. 'Erwählung', 'Freie Gnade', 'Wiederherstellung', 'Rechtfertigung', 'Heiligung', 'Auferstehung', 'Verherrlichung'.

Das Werk, in welchem unsere bescheidenen Talente zu gebrauchen es dem Herrn gefallen hat, ist weniger ein Werk ursprünglichen Neuschaffens, sondern ein Werk des Wiederaufbauens, des Geraderichtens und Harmonierens. Das Wort Gottes, die große Harfe von der so wunderbare Musik ertönt, war in verschiedener Beziehung verstimmt. Die eine Denomination schlug diese, die andere eine andere Seite - Erwählung, Freie Gnade, Taufe, Wiederkunft Christi, Zeitprophezeiungen usw. Eine jede Kirchenpartei hat ihre eigene Saite schwirren lassen, bis vielen wegen der Disharmonie ihr 'Spiel' verleidete, so daß sie es aufgaben. Es kam aber die vom Herrn bestimmte Zeit, da die alte Harfe wieder in Stand gestellt werden sollte, für den Gebrauch seiner treuen Nachfolger. In welchem Maß der große Meister sich nun irgend jemandes unter uns bediente - sei er beim Stimmen der Harfe oder beim Aufmerksam machen 'seiner Brüder' auf die Schönheit ihrer melodischen Töne, die sie zur Verherrlichung des Allmächtigen von sich gibt - laßt uns ihm für das genossene große Vorrecht danken und es gebrauchen. 'Daß wir diese Harmonie gerade zur rechten Zeit, gemäß unserer Chronologie, haben erkennen dürfen - gerade zu der Zeit, die der Herr verhieß, indem er erklärte, daß er dann zu denen, welche auf sein Anklopfen bereitwillig öffnen würden, eingehen werden, um mit ihnen 'das Abendbrot zu essen'; daß er 'sich gürten und aufstehen werde, um ihnen zu dienen' (Luk. 12:37) - diese Tatsache ist uns ein Beweis, daß wir die Zeitrechnung betreffenden Weissagungen, so wie wir sie verstehen, richtig sind. Dem großen Diener seiner Kirche bringen wir darum unsern Dank für das übereinstimmende helle Licht gegenwärtiger Wahrheit - und müssen wir nicht gestehen, daß die Chronologie, die mit diesem Lichte so viel zu tun hat, auch von Ihm stammt?

Laßt uns nun aber einen all unsern Erwartungen ferne stehenden Fall betrachten: Angenommen, das Jahr 1915 geht vorüber ohne Veränderung und Störung der jetzigen Weltordnungen und -Zustände, den Beweis lassend, daß 'die Auserwählten' nicht alle 'verwandelt' worden und auch ohne, daß das natürliche Israel zu den Gnaden des Neuen Bundes wiederhergestellt wäre (Röm. 11; 12, 15). Was dann? Wäre damit nicht die Unrichtigkeit unserer Chronologie bewiesen? Jawohl, ganz sicherlich! Und würde das für uns nicht eine große Enttäuschung bedeuten? Ohne Zweifel würde es!

Damit wäre alle Harmonie gründlich zerstört in bezug auf die 'parallelen Heilszeitordnungen', das Doppelte Israel's, die Jubeljahrrechnung, die Weissagungen Daniels von den 2300 Tagen und von dem Zeitpunkt, genannt 'die Zeiten der Nationen' und von den 1260, 1290 und 1335 Tagen, deren letzte so trefflich den Anfang der 'ernte' bezeichnen mit den Worten: 'O, der Glückseligkeit dessen, der da wartet und erreicht 1335 Tage!'

Keine dieser Weissagungen wäre fürderhin anwendbar. Welch ein Schlag wäre das! Sicherlich wäre dadurch eine Saite unserer 'Harfe' gänzlich zerstört!

Aber, liebe Freunde, vergessen wir nicht, daß dabei doch noch all die andern harmonisch gestimmten Saiten unserer Harfe blieben und das ist's, dessen sich keine andere Versammlung von Gotteskindern rühmen könnte. Wir können dennoch einen so großen und erhabenen Gott anbeten und verherrlichen, dem kein anderer zu vergleichen ist. Wir würden fortfahren, uns der großen Erlösung in Christo Jesu, 'dem Lösegeld für alle', zu freuen. Wir sähen ferner auch die Wunder des 'verborgen gewesenen Geheimnisses', die Gemeinschaft mit unserem Erlöser in 'seinem Tode' und auch in 'seiner Auferstehung' zur 'Ehre, zur Herrlichkeit und Unsterblichkeit' - zur göttlichen Natur.

Geliebte, wenn es sich also erweisen sollte, daß unsere Chronologie ganz falsch ist, so dürfen wir immerhin bekennen, daß Sie uns trotzdem auf jeden Fall viel Vorteil und Segen gebracht hat. Wenn das Entdecken und Erreichen unserer herrlichen Hoffnungen und die schon gegenwärtigen Freuden in dem Herrn uns andererseits solch eine Täuschung kosten sollte, wie manche unserer Freunde für uns fürchten, so könnten wir trotzdem uns freuen und diesen Preis noch billig achten. Wenn der Herr es zur Prüfung der 'Jungfrauen' für nötig fände, auf der 'Posaune der Zeitrechnung' einen falschen Ton zu erlauben, so laßt uns das getrost annehmen als einem von 'all den Dingen, die zum Besten derer mitwirken müssen, welche ihn lieben und nach seinem Vorsatz berufen sind'. Laßt uns aber doch bedenken, daß das zweite Erwachen der 'Jungfrauen' im Gleichnis kein Irrtum war. Der Bräutigam kam, die 'klugen Jungfrauen' hatten den nötigen Glauben, ihm zu begegnen; den andern, weltlich klügeren gebrach es an Glauben und sie verpaßten die der Brautklasse gewährten hohen Ehren, obwohl sie später 'Gespielinnen' der Braut werden durften an 'der Hochzeit des Lammes.'

Das beste Heilmittel für einen verdorbenen Glauben an die gegenwärtige Wahrheit, ist ein sorgfältiges, gebetsvolles, nochmaliges Prüfen der in 'Tages-Anbruch' enthaltenen Darlegungen. Sollte sich das als falsch erweisen, so wüßten wir nichts anderes als Ersatz zu empfehlen. Vergessen wir aber nicht, daß Gott auf das Vorhandensein gewisser Bedingungen acht gab, bevor es uns mit diesem Lichte betraute, und daß wir jene Bedingungen, jenen Geisteszustand unterhalten müssen, um in diesem Lichte bleiben zu können. Wenn also irgend ein Teil des Lichtes dunkel werden will, so lasset uns allererst uns fragen: 'Komme ich meinem Bündnis der Selbstübergabe an den Herrn auch wirklich nach?' Und wenn wir dann irgendwelche Lauheit bei uns entdecken, so dürfen wir glauben, das Geheimnis, die Ursache unserer Schwierigkeit gefunden zu haben, und nichts Besseres haben wir dann zu tun, als die Sache im Gebet vor den Herrn zu bringen."

1907er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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