Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Die bösen Agnostiker

Ein kirchlicher Apologet aus den 1920er Jahren wählte einmal bei seiner Bewertung der Bibelforscher den sinnigen Vergleich. Sie stellten sich ihm dar als Leute, die das Klavier erst in Stücke hauen und anschließend sagen, auf dem vorfindlichen Trümmerhaufen die herrlichsten Lieder spielen zu können. Diese Wertung erfolgte auch unter dem Gesichtspunkt, dass Russell's Ablehnung der Lehre einer Feuerhölle oder auch einer unsterblichen Seele, für die kirchlichen Leute nicht hinnehmbar erschien.

Nicht so sehr im deutschen Kulturkreis, wohl aber dem der USA, gab es für kirchliche Kreise einen besonderen "Buhmann". Robert Ingersoll sein Name. Auch Russell polemisierte in seinen "Schriftstudien" gegen ihn. Zu Ingersoll kann man unter anderem vergleichen

http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Green_Ingersoll

http://www.kirchenkritik.de/zitate/ingersoll.html

Aber wie gesagt nicht nur er. Auch weite Teile der übrigen religiösen Konkurrenz taten ein ähnliches. Indes im Detail unterschied sich diese Kritik an Ingersoll durchaus beträchtlich. Im deutschen "Zions Wacht Turm" vom Januar 1907 gibt es nun einen "Eine Antwort auf Robert Ingersoll's Angriffe auf das Christentum" überschriebenen Artikel. Formal greift Russell darin auch Ingersoll an. Dies jedoch auf eine Art und Weise, die bei seiner religiösen Konkurrenz unwillkürlich die Gedankenassoziation an das zerstörte Klavier weckt. Welches "liebliche Lied" Russell indes aus diesem Trümmerhaufen trotzdem glaubt hervorzaubern zu können. Zur Veranschaulichung dessen, ein paar Zitate aus diesem Artikel.

Einleitend liest man:

"In seiner einst gehaltenen 'Weihnachtspredigt' stellte Mr. Robert Ingersoll das Christentum ernstlich zur Rede und veranlaßte beträchtliche Aufregung in religiösen Kreisen. Der Prediger Buckley, Dr. theol., von der Methodisten-Kirche in New York erklärt, daß der Kern von Mr. Ingersolls Weihnachtspredigt in drei Angriffen liegt, welche er auf das Christentum macht, und welche Dr. Buckley 'drei riesige Lügen' nennt. Sie lauten wie folgt:

Erstens: 'Das Christentum kam nicht mit einer Botschaft großer Freude, sondern mit einer Botschaft ewigen Kummers.'

Zweitens: 'Es (das Christentum) hat die Zukunft mit Furcht und Flammen erfüllt und Gott zum Hüter eines ewigen Zuchthauses gemacht, bestimmt zum Aufenthalt für fast alle Menschen.'

Drittens: 'Nicht zufrieden damit, es (das Christentum) hat Gott der Macht, zu vergeben, beraubt.'"

Nach dieser Einleitung geht es weiter mit der Aussage:

"Einige Freunde Christi, der Bibel und wahren Christentums bitten dringend, daß dieser moderne Goliath eine Antwort erhalten durch einige Kiesel der Wahrheit aus unserer Schleuder - gerichtet nicht gegen einen großen und anscheinend ehrenhaften Mann, sondern gegen das System von Irrtümern, welches er, ohne Zweifel ehrenhaft, unterstützt; und zur Verteidigung der Wahrheit und der schüchternen und zweifelnden Kinder Zions - 'rechter Israeliten.'"

Russell zieht sich nun auf die Linie des vermeintlichen Urchristentums zurück, das im Widerspruch zum zeitgenössischen Christentum stände:

"Indem wir die Behauptung umkehren, wollen wir darlegen, 1. daß das Christentum nicht mit einer Botschaft ewigen Kummers kam, und 2. daß es mit guter Botschaft großer Freude kam, welche allem Volke werden soll".

Oberwasser wähnt Russell schon darin zu haben, dass seiner Meinung nach, der Begriff "ewige Pein" im Neuen Testament nicht vorkomme. Seine Ablehnung der Höllenlehre weiter im Detail ausbreitend, glaubt er schon dadurch, nicht von den Vorhalten Ingersolls tangiert zu sein.

"Als die zweite riesige Lüge in Mr. Ingersolls Rede bezeichnet Dr. Buckley seine Behauptung, daß 'es (das Christentum) die Zukunft mit Furcht und Flammen erfüllt und Gott zum Hüter eines ewigen Zuchthauses gemacht hat"

Dazu Russell:

"Wir setzen, daß Dr. Buckleys Einwendung nicht ist, daß das Christentum, sondern daß Gott die Zukunft mit Furcht und Flammen erfüllt habe. Aber in diesem Punkt müssen wir Mr. Ingersoll zustimmen."

Und weiter Russell:

"Die Tatsache kann nicht bestritten werden, daß die Zukunft für die zivilisierte Welt voller Furcht ist -, entweder Furcht für sie selbst oder für ihre Freunde. Aber nach ... Prüfung der heiligen Schrift finden wir, daß Gott nicht verantwortlich ist für diese Furcht, noch kam das Christentum mit einer Botschaft, solche Furcht zu erzeugen."

Seine langatmigen Ausführungen gipfeln eigentlich in einer These, nämlich der.

Russells Christentum sei nicht mit dem der religiösen Konkurrenz identisch. Und weil dem so sei, fühle er sich auch nicht von den Ingersoll'schen Anwürfen berührt.

Russell bietet also in die Praxis umgesetzt, das erstaunliche Beispiel dafür, wie man es fertig bringt, sich zu waschen, ohne dabei nass zu werden!

Die bösen Agnostiker

„Und willst Du nicht mein Brüder sein - so schlage ich Dir den Schädel ein." Das ist - leider - ein alter Erfahrungswert. Graduell abgestuft (nicht unbedingt in der allerkrassesten Variante) begegnet man dem auch (nicht nur) in christlichen Kreisen. Äußert sich bei letzteren das auch nicht immer in vordergründigen Handgreiflichkeiten; so sieht es auf der Ideologie-Ebene schon erheblich anders aus. Wer da nicht im eigenen Trott mitmarschiert , „müsse" ein schlechter, vor allem moralisch schlechter Mensch sein. So die unausgesprochene - nicht selten aber auch ausgesprochene - Diktion.

Letztendlich war auch Russell keine Ausnahme von dieser Regel. Auch er hatte so seine zeitgenössischen „Lieblingsfeinde", die er auch ziemlich unverblümt als solche bezeichnete. Einer den er da „festnagelte"; sowohl in seinen „Schriftstudien" als auch im „Wachtturm" war der „Agnostiker Robert Ingersoll".

Indes durchaus bemerkenswert, dass auch Russell an dem Umstand nicht vorbei kam, dass dieses Klischee wohl doch nicht ganz mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Einem Bespiel dafür begegnet man auch in der deutsche Ausgabe des „Zions Wacht Turm" vom Juni 1907. Unter der Überschrift „Der Wein falscher Lehre" präsentiert er eine seiner „Bibelauslegungen". Zwar ist das Thema Alkohol darin nicht sein Hauptthema. Da es aber schon in der Überschrift mit zum tragen kommt, spart er es aber auch nicht grundsätzlich aus. Und dabei meint er (eigentlich ohne Not. Er hätte auch ebensogut auf dieses Beispiel verzichten können), auch auf den Robert Ingersoll mit zu sprechen kommen zu sollen.

Im genannten WT liest man:

„Die Schrift kennt zweierlei Trunkenheit, und weist auf deren böse Folgen hin. Es wäre durchaus ungerecht, die berauschenden Getränke für allen Schaden der Welt verantwortlich zu machen, wiewohl der Alkohol unstreitig einer der schlimmsten Feinde der Menschheitsgeschichte ist. Er ist nach den neuesten Forschungen der wesentliche Träger der wärmenden, anregenden Tätigkeit des Blutes aller Wesen (den Menschen inbegriffen); aber die Natur scheint für die richtige Menge in den Organismen schon vorgesorgt zu haben, so daß jede Vermehrung, Zufuhr desselben schädlich ist. Wir hören gerne junge Leute, insbesondere junge Männer bezeugen, daß noch kein berauschendes Getränk über ihre Lippen gekommen. Das macht freilich noch nicht Heilige aus ihnen, aber es beweist, daß sie in diesem Stück verständig urteilen. Wer keinen Alkohol geniest, dem kann der Alkohol nichts anhaben.

Der bekannte Agnostiker (Ungläubige) Robert Ingersoll sagt: „Ich halte dafür, daß der Alkohol entsittlichend wirkt auf alle, die damit zu tun haben: auf die, welche ihn herstellen, auf die, welche ihn verkaufen, und auf die, welche ihn trinken. Auf seinem Wege aus der Schnapsfabrik bis in die Hölle des Verbrechens und der Schande erniedrigt dieser Strom alles, was mit ihm in Berührung kommt. Niemand kann das mit ansehen, ohne einen Widerwillen gegen die mörderische Flüssigkeit zu bekommen. Man zähle nur auf beiden Ufern des Stroms die Opfer. Die Selbstmörder, die Irrsinnigen, die Verarmten, die Unwissenden, die Verzweifelnden, die Kinder, welche weinenden, jammernden Müttern an den abgebrauchten Röcken hangen und um Brot betteln, die begabtesten Männer, die in den Kot hinabgezogen, überhaupt an die Millionen Menschen, die ihre Kraft daran vergeudet, mit Schlangen zu kämpfen, welche dieser Teufelstrank ihrer Einbildungskraft vorgegaukelt. Dazu alle Armenanstalten, alle Gefängnisse (wir möchten beifügen: alle Armenquatiere der großen Städte, alle Irrenanstalten, alle Bordelle, Matrosenkneipen usw. usw. der Übers.) - wie kann es da noch einen denkenden Menschen geben, der nicht mit Vorurteil erfüllt wird gegen diesen schrecklichen Alkohol!"

1907er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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