Der vorangegangene Jahrgang: 1959

Vor (mehr) als 50 Jahren

Was 1960 Wahrheit war

Jahrgangsvermehrung

Eine gar wundersame Jahrgangsvermehrung konnte man im „Wachtturm" des Jahres 1960 beobachten. Was die in Wiesbaden gedruckte Ausgabe anbelangt, bezeichnete sich selbiger bis einschließlich der Ausgabe vom 15. Januar 1960 als dessen 53. Jahrgang.

Das Wunder ist dann in der Ausgabe vom 1. Februar 1960 zu bestaunen, wo nun plötzlich aus dem 53. Jg. das Volume LXXXI (übersetzt 81. Jg. wurde).

Dann gab es zu der Zeit noch eine Österreichische Variante des „Wachtturms". Die aber druckte (damals) die WTG nicht selber, sondern lies sie von einer externen Firma drucken.

Dort indes war jener Jahrgangswechsel in der Ausgabe vom 15. März 1960 (der in der Österreichischen Ausgabe als 65. Jahrgang bezeichnet wurde), zur Ausgabe vom 1. April 1960 (nunmehr auch vol. LXXXI) zu beobachten.

In beiden Fällen erfolgte diese Umstellung also nicht am Jahresanfang (was ja noch am plausibelsten wäre) sondern zu willkürlichen Zeiten mitten im Jahrgang.

Wer nun indes denken würde, vielleicht im „Wachtturm" eine Erläuterung dazu vorzufinden, der denkt (wieder einmal) falsch.

Offenbar kam da wohl die Anordnung von jenseits des großen Teiches, und deren deutsche Satrapen hatten zu kuschen.

Zugrunde lag dem die Zählung des englischen „Wachtower" und das trotz des Umstandes, dass deren Deutschsprachige Ableger ja nicht dieselbe (tatsächliche) Jahrgangszahl erreicht hatten!

Auch bei der Begleitzeitschrift „Erwachet!" ist ähnliches zu beobachten. Deren in Wiesbaden gedruckte Ausgabe bezeichnete sich bis einschließlich der Ausgabe vom 8. Januar 1960 als dessen 8. Jahrgang. Ab der Ausgabe vom 22. Januar 1960 wurde auch dort daraus Volume XLI (also der 61. Jahrgang).

In der Österreichischen Ausgabe ist bis zum 8. März 1960 vom 38. Jahrgang die Rede.

Ab Ausgabe 22. März 1960 dann auch gleichgeschaltet auf Volume XLI.

Diese Art der Zählung beinhaltet dann ja wohl auch die Einbeziehung der Vorgänger-Zeitschrift „Das Goldene Zeitalter" (respektive „Trost).

Auch hierbei hält sich die WTG nicht mit erläuternden Details auf.

Wäre es anders, müsste sie beispielsweise erläutern, dass es zwei unterschiedliche Deutschsprachige Varianten des „Goldenen Zeitalters" in der Anfangszeit gab.

Die Schweizer Ausgabe ab Herbst 1922 erscheinend, die deutsche ab April 1923.

Sie müsste weiter erläutern, dass beide Ausgaben die dem „Golden Age" entnommenen übersetzten Artikel, nicht selten zu unterschiedlichen Zeiten in den deutschen Pedants druckten.

Sie müsste weiter erläutern, dass es zudem in den beiden Deutschsprachigen Ausgaben Beiträge gab, die sich nur in einer der beiden nachweisen lassen.

Sie müsste weiter erläutern, dass die deutschen „Goldenen Zeitalter"-Ausgaben keineswegs „alle" Artikel des „Golden Age" übernahmen, sondern nur eine Auswahl aus ihnen.

Sie müsste weiter erläutern, dass etwa in der 1940er Jahren das „Consolation", schon vom Umfang her, etwa doppelt so stark war als etwa das in Bern gedruckte „Trost".

Das alles hat die WTG eben nicht erläutert.

Es schien ihr einfach opportun die größere Zahl nunmehr zu verwenden.

Wer im kleinen untreu ist, erweist sich nicht selten auch in anderer Beziehung als untreu!

Ergänzend zu diesem Thema kann man auch vergleichen:

ForumsarchivA182

Dort etwa in der 2. Hälfte

Schaumschläger

Diese Vokabel vom „Wachtturm" selbst verwandt (1. 1. 1960), meint er in dem Sinne verwenden zu sollen:

„Möge sich niemand durch die Worte politischer Schaumschläger verwirren lassen, die behaupten, daß der Weltkommunismus die Menschen befreien und Glück in einer neuen Welt führen werde. Möge aber auch niemand denken, daß das Königreich, von dem Jesus sprach, durch die Demokratie verwirklicht werde. Die demokratische Regierungsform ist die Regierung des Volkes; Jesus lehrte uns aber, fortgesetzt nach Gottes Königreich zu trachten, das heißt nach dem durch seinen gesalbten Sohn regierten Königreich ..."

Und passend kann man dabei auch auf das damalige Impressum des „Wachtturms" (auf der Titelblatt-Innenseite) verweisen, in dem auch zu lesen ist:

„Unsere Zeitschrift steht, bildlich gesprochen, an solch einem erhöhten Punkt ... Das erhebt sie über nationale, politische und Rassenpropaganda und macht sie frei ...ihre Botschaft schreitet mit dem zunehmenden Licht über Gottes Vorsätze und Werke voran ...

Wenn sie beobachtet, wie unsere Generation unter Habgier, Pflichtvergessenheit, Heuchelei, Atheismus, Krieg, Hungersnot, Ratlosigkeit, Furcht sowie durch Verfolgung unpopulärer Minderheiten leidet, sagt sie nicht die alte Fabel nach, daß die Geschichte sich wiederhole ... erkennt sie in diesen Dingen das Zeichen der Zeit des Endes der Welt ..."

Nun, den passenden Kommentar dazu hat der „Wachtturm" sich dann wohl selbst schon gegeben.

Auch ein Schaumschläger!

Karl Barth

Der Theologe Karl Barth, einstmals zu Nazizeiten, auch von der WTG zeitweise geschätzt, aber das wohl auch nur zeitweise.

Warum? Nun Barth lies sich als „nützlicher Idiot" (das sprach man selbstredend so nicht aus, man dachte es allenfalls). Karl Barth lies sich auch zeitweise für die WTG vermarkten.

Siehe dazu auch: Das Zuercher/Harbeck-Buch

Auf das Naziregime war Karl Barth selbstredend auch nicht gut zu sprechen, hatte er doch seine Professur in Bonn aufgeben müssen und sich in die Schweiz zurückziehen müssen (was ihm ja möglich war).

Dort nun in der Schweiz gab es auch Pressephotos, die Barth in militärischer Uniform der Schweizer Armee zeigten. Das war dann wohl kein ähnlicher Wehrdienst etwa mit dem in Hitlerdeutschland vergleichbar. Aber eine zumindest zeitlich befristete Teilnahme an einer Wehrübung war es sicherlich.

Über diesen Aspekt des Karl Barth indes, erfährt man im WTG-Schrifttum nichts.

Die WTG interessierte damals nur, dass es eine begrenzte Schnittmenge, was die Ablehnung des Naziregimes betrifft, unfraglich gab.

Um 1960 machte jener Karl Barth erneut von sich reden, insoweit, als er auch zur Zitierung im WTG-Schrifttum kam. Was seine sonstigen theologischen Schriften anbelangt, zog es die WTG doch lieber vor, die mit Nichtachtung zu strafen. Einmal weil sie vom Inhalt her schon zu voluminös, zum anderen auch weil sie ihr gegen den „Strich gehen".

Jener Barth'sche Schrift von 1960, die da auch zur WTG-Notiz gelangte, war dagegen eine kleine Broschüre nur; gleichwohl brachte sie zeitgenössisch noch so manchen anderen kalten Krieger westlicher Prägung in Rage.

Auf sie wurde auch an diesem Ort, schon mal eher beiläufig mit eingegangen. Siehe dazu:

Die Studie von Andre Gursky

Was nun Karl Barth anbelangt, ist sicherlich das Urteil eines DDR Haus- und Hoftheologen in seiner Dissertation, nicht uninteressant.

In Stichworten zu dessen Vita. Baptistischer Herkunft.

Avanciert im Ost-CDU-Blatt "Neue Zeit". Kann 1962 seine DDR-lammfromme Dissertation in Leipzig verteidigen.

In ihr auch die Sätze über Karl Barth:

"Eine Radikalisierung der antirevolutionären Haltung Karl Barths hat sich in der Zeit zwischen dem Erscheinen der ersten und der zweiten Fassung (seines) „Römerbriefes" vollzogen. Die Stellungnahme gegen die Revolution und die Revolutionäre hat den Ton ausgesprochener Aggressivität. Während die erste Auflage des „Römerbriefes" die Passivität gegenüber der Revolution proklamiert, geht die zweite Auflage über die Empfehlung der „Nicht-Revolution" weit hinaus."

Derart ausgewiesen, war diesem Herrn seine weitere DDR-Karriere gewiß.

Stichwort nur; Mitarbeiter im Stasikircheninstitut mit Namen "Wandlitz", und zuletzt noch Theologieprofessor zur Ausbildung des "hoffnungsvollen DDR-Theologennachwuchses".

Nun seien also nochmals einige Passagen aus dem Barth'schen Brief an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik zitiert.

Schon allein jener Titel reichte im Prinzip aus, um die westlichen Gralswächter „auf die Palme zu bringen". Da verwandte dieser Barth doch tatächlich die Selbstbezeichnung des östlichen Regimes, anstatt einfach nur von „Sowjetzone" oder noch „besser" „Zone" nur, oder wie Herr Adenauer von „Sssowjetzone" zu reden.

Am Rande vermerkt; auch die angeblich „unpolitische" WTG-Organisation verwandte die Vokabel „Zone" („Erwachet! 22. 4. 1960 S. 22.) Und da seitens der WTG diese Vokabel zwar nicht immer Verwendung fand, ist es es beachtlich zu registrieren, just in einer sogenannten Sonderausgabe (und das war die vom 22. 4. 60) verwandt. Verbreitungsradius solcher Sonderausgaben, waren zudem auch wesentliche Teile außerhalb der eigentlichen WTG-Anhängerschaft. Damit konnte die WTG den „Falken" andernorts einmal mehr demonstrieren. Seht ihr, wir blasen auch in euer Horn!

Um zu Karl Barth zurückzukehren.

Schon allein dadurch war dieser Barth bei so mancher westlichen Koryphäe „unten durch".

Es kommt aber noch besser, bzw. in der reinen westlichen Weltsicht, welche ja die Weisheit mit Löffel gefressen hatte, noch schlimmer.

Barth desavouiert sich in der reinen westlichen Weltsicht schon mal durch sein Eingeständnis:

«Warum eigentlich sagt Karl Barth nicht einmal auch uns ein wegweisendes Wort?» Lassen Sie mich fürs Erste an diese Ihre an unseren Freund gerichtete Frage anknüpfen. ... (als ich Barth) von einem vielgenannten amerikanischen Theologen in aller Öffentlichkeit zu hören bekam: Why is Karl Barth sihnt about Hungary? Dazu habe ich damals kein einziges Wort gesagt. Es war mit Händen zu greifen, daß das keine echte Frage war. Sie kam nicht aus der praktischen Bedrängnis eines Christen, der mit einem anderen Austausch und Gemeinschaft sucht, sondern aus der sicheren Burg eines hart gesotten westlichen Politikers, der, wie Politiker es zu tun pflegen, einen Gegner aufs Glatteis führen, mich entweder zu einem Bekenntnis zu seinem primitiven Antikommunismus zwingen oder mich als heimlichen Prokommunisten entlarven und mich so oder so auch als Theologen diskreditieren wollte."

Weiter redet Barth in seinem Votum an den DDR-Pfarrer auch von einem „offenen Totalitarismus bei Ihnen," (also in Ostdeutschland).

Da werden ihm ja sicherlich viele beipflichen in Vergangenheit und Gegenwart. Er lässt es aber nicht bei dieser Aussage bewenden, sondern hängt noch die in den Augen der westlichen Gralshütern völlig überflüssige Anmerkung mit an, und „auch der schleichende (Totalitatarismus) bei uns" (also ist Westen).

Und weiter liest man bei Barth dann auch noch die Sätze:

„Ich kenne doch das große Lehr- und Bilderbuch, das mit den Nebelflecken anfängt und mit den Portraits von Karl Marx, Lenin und (in meinem Exemplar) noch von Stalin endigt! Aber Gott auch darüber! Oder meinen Sie, daß man mit dem, was sich unter jenen Titeln breit macht, wirklich dem lebendigen Gott und wirklich auch nur einem einzigen Menschen - ob Kind oder Erwachsener, Gebildeter oder Ungebildeter - real und effektiv zu nahe treten kann? Mit ein bisschen oder auch sehr viel Materialismus (nach so viel üblem Idealismus, mit dem wir es ja lange genug auch ziemlich toll getrieben haben!) schon gar nicht. Ruhig Blut: die Blase eines reinen und ebenso üblen Materialismus wird - die Meisterwerke des dortigen Hofdichters werden daran nichts ändern können - zu ihrer Stunde ebenso platzen, wie jene andere zu ihrer Stunde platzen mußte."

Dem Pfarrer dem er da antwortet, scheinen besonders auch Kirchenaustritte zu schaffen zu machen. Dazu wiederum belehrt ihn Barth (ob jener Pfarrer über diese Belehrung denn „glücklich" war, kann man sicherlich bezweifeln). Aber immerhin belehrt in Barth:

„Nach einer ebenso hübschen wie nachdenklichen Anekdote, die ich neulich hörte: Ein Berliner gesteht dem anderen, er sei nun aus der Kirche ausgetreten. Darauf der Andere: «Ja, glaubst du denn nicht an Gott?» Darauf der Erste: «An Gott wohl, aber nicht an sein Bodenpersonal». Geht es nicht in der Regel um das «Bodenpersonal» und also um uns Christen, vielleicht besonders um uns Theologen, wenn die Leute sich für Atheisten halten und ausgeben?"

Und weiter meint Barth dann die These formulieren zu sollen:

„Einer unserer theologischen Lehrer hat einmal behauptet, daß die «Stillen im Lande» das Dritte Reich weggebetet haben. Wäre ein gleiches Gebet uns in der heutigen Situation erlaubt?"

Jener These hängt er dann allerdings noch einen Nachsatz an, und zwar den:

„Jene Nachricht will mir darum nicht so recht gefallen, weil 1933 jedenfalls gewisse «Stille im Lande» (ich las die Lebensbeschreibung des großen Gemeinschaftsmannes und Diakonissenvaters Kravielitzki) zunächst ungemein kräftig beim Kommen des Dritten Reiches mitgewirkt haben. Ob Sie bei einem heute allfällig zu unternehmenden «Wegbeten» der DDR mittun dürfen und wollen, hängt davon ab, ob Sie es ernstlich verantworten können, dem lieben Gott mit solcher Bitte zu kommen? ob Sie nicht befürchten, daß er Sie in der Weise schrecklich erhören könnte, daß er Sie eines Morgens bei jenen «Fleischtöpfen Aegyptens», als einen dem American way of life Verpflichteten erwachen ließe? ob Sie es nicht fruchtbarer finden sollten, statt gegen, für die DDR zu beten und im Übrigen um Licht und Kraft zu einem rechten christlichen Sein und Tun nun gerade in der DDR?"

Genug der Zitate von Karl Barth. Er zumindest meinte auf den Salzcharakter des Christentums vertrauen zu können, und sah alle staatliche Protegierung mehr als kritisch.

Ob sein so geäußertes Vertrauen denn stichhaltig ist oder nicht, mag jetzt nicht im Vordergrund stehen.

Unter der Überschrift „Wo der Kommunismus blüht" zitiert nun auch die WTG-Zeitschrift „Erwachet!" vom 8. 1. 1960 jene vorzitierte Barth'sche Schrift.

Auch was „Erwachet!" von Barth zitiert, sei nachfolgend noch vorgestellt. Man liest dort:

„Wie ist es mit dem Atheismus?" Fragte kürzlich der führende Theologe Karl Barth in seiner Schrift 'Ein Brief an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik'.

„Meinen Sie nicht auch, daß das Allermeiste, was sich dafür ausgibt, nur insofern ernst zu nehmen ist, als es auf Mißverständnissen zurückgeht, an denen u. a. die Christenheit mit ihrer bisherigen Lehre, Haltung und Praxis nicht eben wenig, sondern sehr viel Schuld trägt. Nach einer ebenso hübschen wie nachdenklichen Anekdote, die ich neulich hörte: Ein Berliner gesteht dem anderen, er sei nun aus der Kirche ausgetreten. Darauf der andere: 'Ja glaubst du denn nicht an Gott?' Darauf der erste: 'An Gott wohl, aber nicht an sein Bodenpersonal'.

Geht es nicht in der Regel um das 'Bodenpersonal' und also um uns Christen, vielleicht besonders um uns Theologen?"

Soweit Barth also die eigene Theologenzunft kritisiert, hat er sicherlich auch den Beifall der WTG. Aber, und das ist das große aber, die WTG macht sich seine Thesen keinesfalls generell zu eigen. Sie glaubt sehr wohl andere Akzente setzen zu sollen.

Diese in WTG-Sicht relevanten Akzente glaubt sie in einer Äußerung von Arnold Toynbee auf den Punkt gebracht, zu sehen.

Letzteren zitiert sie dann wie folgt:

„Der Westen macht einen großen Fehler", sagte der englische Historiker Arnold Toynbee, „weil er den Kommunismus mit den Waffen des Kommunismus bekämpft ... Das Anziehende an der westlichen Demokratie sollte nicht nur die größere Freiheit und der größere Wohlstand, sondern vor allem ihre Religion sein."

In WTG-Sicht erweisen sich die Konkurrenzreligionen als weitgehend verweltlicht. Sie hingegen wähnt sich mit ihrer Rückkehr zum reinen Religionsopium diesen Konkurrenten als überlegen. Und zum Opiumvertrieb gehört in WTG-Sicht untrennbar ein Leben als Treppenterrier und Sklave.

Das also ist die westliche Überlegenheit, welche zu verkünden, besonders die WTG sich angelegen sein lässt!

Motivierende Ausgangsbasis jenes „Erwachet!-Artikels ist auch die darin enthaltene Grundsatzthese:

„Das wahre Christentum liefert keinen Nährboden für den Kommunismus".

Und unter „wahres Christentum" versteht sich ja die WTG selbst.

Und das meint sie dann noch mit der Angabe ergänzen zu können:

„Die 'geistige Leere' vieler Menschen wird dann durch Glauben und Hoffnung ausgefüllt, und Menschen, die einst zu schwach und unfähig waren, den Verlockungen des Kommunismus zu widerstehen, werden stark und nehmen Stellung für Gott und sein Königreich. Sie sind dann nicht mehr unzufrieden, selbst wenn sie unter ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen leben ..."

In etwas andere Worte umformuliert. Die WTG bescheinigt sich also, dass jene Eigenschaften, welche man dem Opium nachsagt, in ihrer Religionsopium-Variante besonders kräftig wirken.

Inklusive des bitteren Ende's, das für Opium-Konsumenten ebenfalls vorprogrammiert ist!

Jugendweihe

Sich selbst wieder einmal auf die Schulter klopfend berichtet der „Wachtturm" vom 1. 3. 1960:

„In der Deutschen Demokratischen Republik hat die kommunistische Behörde eine antireligiöse Zeremonie unter dem Namen „Jugendweihe" eingeführt, welche die sogenannte christliche Konfirmation, die von vielen Kirchen der Christenheit durchgeführt wird, ersetzen soll, um die Jugend von den Kirchen wegzuziehen; und dies bleibt offensichtlich nicht ohne Ergebnisse."

Aber weis der „Wachtturm" weiter mitzuteilen:

„Jehovas Zeugen beobachten weder die unbiblische Konfirmation der Kirchen, noch nehmen sie oder ihre Kinder an irgendeiner „Jugendweihe" in irgendeinem Lande teil."

Letzteres ist dann wohl zu bestätigen.

Was aber bekommen die Jugendlichen der Zeugen Jehovas als „Ersatz"?

Vor allem wohl eines, und das schon seit frühesten Kindheitstagen. Die Erziehung zum Außenseitertum!

Nun mag man in Sachen Jugendweihe auch darauf verweisen, deren Wurzeln lassen sich ja bereits in Gruppierungen nachweisen, welche zunehmend in das A-religiöse Milieu abdrifteten (in Stichworten die Entwicklungslinie: Deutschkatholiken - Freireligiöse - Freidenker (letztere heutzutage belieben sich auch als „Humanistischer Verband" zu betiteln. Wobei das „Pachten" des „Humanismus" durch einen Verband, wohl durchaus zwiespältig gesehen kann. Der „Pächter" hat ja auch keine Skrupel, kann er es durchsetzen, dann wohl auch Militärselsorge (wenn sie denn staatlich bezahlt würde), unter etwas anders variierten Namen anzubieten).

Aber zu den Kirchen zurückkehrend. Was nun besagte Jugendweihe anbelangt, zitiert auch der „Wachtturm" aus diesbezüglichen Klagevoten; etwa dieses:

„Gemäß einer Meldung, die Bischof Dr. Dibelius ausgab, und die im 'Telegraf-Wochen-Spiegel' vom 2. November 1958 berichtet wurde, würden „in einer Stadt, 'gar nicht weit von Berlin', mit 20.000 Einwohnern von 200 Schulentlassenen nur noch drei Kinder zur Konfirmation gehen. Die Eltern der übrigen evangelischen Kinder hätten nicht mehr den Mut und die Kraft, dem Druck zu widerstehen, mit dem die Teilnahme der Kinder an der atheistischen Jugendweihe gefordert werde."

Diese offenkundige kirchliche Position der Schwäche, ist nun dem „Wachtturm" einmal mehr Beleg dafür, sich selbst auf die Schulter klopfen zu können.

Das äußert sich dann auch an Hand der alljährlich zelebrierten eigenen Jahrbuchstatistiken. So auch in diesem Berichtsjahr.

Jubelnd stellt der „Wachtturm" fest (WT 15. 2. 1960):

„Doch auch dort („hinter dem Eisernen Vorhang" - letzteres Originalvokabel des vorgeblich „unpolitischen" Wachtturms").

Also weiter im Zitat:

„Doch auch dort können wir wunderbarerweise eine Zunahme im Werke feststellen .... Denn in den kommunistischen Ländern gibt es heute im Durchschnitt 120.952 Verkündiger, und es ist im Laufe des Dienstjahres 1959 eine neue Verkündigerhöchstzahl von 131.996 erzielt worden."

Und weiter der WT, dies bedeute dort eine „Zunahme von 22 Prozent."

Angesichts dieser damaligen Jubelzahlen lohnt wohl ein Blick auf die Zeit nach 1989. Was wurde da etwa bezüglich Ostdeutschland festgestellt. Nun, im Prinzip eine numerische Bestandswahrung. Soviele Zeugen Jehovas wie es vor dem Ostdeutschen Verbot gab, waren in dieser Region auch noch 1989 zu registrieren.

Nun mag man sich damit trösten (siehe die kirchlichen Kommentare in Sachen Jugendweihe), die Konkurrrenzkirchen hätten aber im gleichen Zeitraum massive Einbrüche erlitten. Insofern sei doch eine Bestandswahrung auch beachtlich.

Das sei nicht prinzipiell in Frage gestellt.

Dennoch drängt sich mir persönlich (als einem Beispiel jener, welche weder Konfirmation noch Jugendweihe persönlich erlebten), der Spruch auf. Es ist wohl ein hoher Preis dafür zu zahlen gewesen.

Ein zu hoher!

Dieser Rubrik darf man dann wohl auch jene Aussage aus dem „Wachtturm" vom 1. 11. 1960 zuordnen, der da wieder mal meint sagen zu müssen:

„Geht bei eurer weltlichen Arbeit soweit wie möglich allen Situationen, die zu Kompromissen führen könnten, aus dem Wege, zum Beispiel Weihnachtsfeiern, Betriebsveranstaltungen und Gewerkschaftsausflügen." „Gewürzt" wird das noch mit der weiteren Aussage:

„Beteiligt euch nicht an Lotterie- oder Hasadeurspielen, an Trinkgelagen von Angestellten oder Geschäftskollegen. ... Auch sollt ihr euch von der Befleckung, die durch den Gebrauch und den Geruch jenes Unkrauts, Tabak genannt entsteht, rein erhalten."

Nun kann man schwerlich gegen die zuletzt genannten Aussagen, bei Menschen mit religiöser Sozialisation, die da „heilig" sein möchten, viel einwenden. „Bitte schön" wenn sie es denn so halten wollen. „Jedem Tierchen sein Pläsierchen".

Aber der WT geht wie auch zitiert weiter. Er möchte eine grundsätzliche Isolation von der „Welt" anstreben. Und genau damit geht er einen Schritt zu weit! Er beschränkt sich nicht darauf, ein „gutes Vorbild" abgeben zu wollen. Er erstrebt die grundsätzliche Erziehung zum Außenseitertum!

Ostdeutsche Kirchenpolitik

Was die Ostdeutsche Kirchenpolitik gegenüber den Zeugen Jehovas anbelangt, ist zu registrieren. Auch in den Jahren 1958/59 war die noch von den alten nazistischen Betonköpfen mit rotem Lack dominiert, die schon um 1950 das Sagen hatten. Da gibt es wahrlich nichts zu beschönigen. Ein allmählicher Wandel dieser gescheiterten Politik setzte dann wohl schon im Jahre 1958 ein (allmählich nicht in „rasendem Tempo, aber eine „Weichenumstellung gab es sehr wohl).

Die nächste Stufe dieser Politikumstellung ist etwa auf das Jahr 1961 zu lokalisieren.

Als Beleg sei verwiesen etwa auf jene Meldung vom 15. 11. 1960 die davon berichtet, der bisherige Staatssekretär für Kirchenfragen Werner Eggerath, sei von seiner Funktion „mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand" entbunden worden und ein Nachfolger für ihn (Hans Seigewasser) berufen worden.

Ob das schon ein „Quantensprung" war, mag man ja vielleicht zu Recht bezweifeln. Aber Vorbote einer neuen Ära, die nicht zwangsläufig mit der von 1950 identisch sein musste, war es sicherlich.

Dann am 16. August 1961, also ganz kurz nach dem Ostdeutschen Mauerbau, gab es die Meldung über die Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens in Gold, an den Bischof Mitzenheim (in Thüringen), anlässlich seines 70. Geburtstages.

Auch dazu mag man ja kommentieren, was da dieser Bischof (außer seinem erreichten Lebensalter) so Ordenswürdiges geleistet habe, sei auch nicht so recht nachvollziehbar.

Selbst wenn es so ist, wurde immerhin ein Signal von kommunistischer Seite in Richtung auf Koexistenz ausgesandt. Das gleiche Regime hätte um 1950 herum, wohl keinem Bischof einen Orden verliehen.

Der allergrößte propagandistische Aufwand indes, war dem Ostdeutschen Regime dann eine Begegnung zwischen Ulbricht und handverlesenen religiös orientierten Kreisen Wert.

Galionsfigur dabei der betagte, von jeher vom Ostdeutschen Regime gehätschelte Theologieprofessor Emil Fuchs in Leipzig.

Das ist jener Fuchs, dessen Sohn (Klaus Fuchs) wegen Atombomben-Spionage in England, in die Geschichte eingegangen ist.

Siehe zu letzterem auch Kommentarserie 1959 Dort Eintrag vom 22. August 2009 08:59

Das Spektakulum fand dann am 9. Februar 1961 statt, und noch jahrelang konnten sich die Ost-CDU-Blockflöten nicht genug daran tun, seine „historische Bedeutung" hervorzuheben.

Eine eigens dazu massenhaft auf den Markt geworfene Propagandaschrift darüber, betonte indes schon in ihrem Titel, den Koexistenz-Gedanken

Auch die WTG meinte etwa in „Erwachet!" Vom 8. 12. 1960 ihren „Senf" zu dieser Tendenzwende hinzugeben zu müssen, wenn sie eben dort kommentierte:

„Die freundlichen Worte des ostzonalen SED-Sekretärs Walter Ulbricht, gegenüber der Evangelischen Kirche der DDR rief in westlichen Kirchenkreisen Besorgnis hervor. Ulbricht hatte erklärt, er wolle nur noch mit DDR-Geistlichen zusammenarbeiten, da diese sich immer mehr von der Richtigkeit der ostdeutschen Politik überzeugt hätten."

Und dazu „Erwachet!"

„Kirchliche Kreise des Westens nehmen an, daß Ulbricht die Evangelische Kirche der DDR aus der Evangelischen Kirche in Deutschland ausklammern und diese nationalisieren möchte."

Und ausgerechnet „Erwachet!" fühlt sich berufen dazu die Frage zu stellen. „Wo bleibt da die Einheit der Kirche?"

Was die genannten Nationalsierungsbestrebungen anbelangt, so war wohl deren Höhepunkt erst ein paar Jahre später. Um 1960 hielt man sich ja noch viel auf die „Klammer Kirche" zugute. Ein Jahr später schon schuf der östliche Mauerbau, erst mal eine grundsätzlich andere Basis.

Das alles mag man ja nicht gerade „schön" finden. Letztendlich ist es aber dem Bereich politischer Entscheidungen zuzuordnen. Und so manche politische Entscheidung, auch in anderen Kontexten, kann man wohl weiterhin, auch in die Rubrik „nicht schön" einordnen.

Und dann stellt sich doch noch die Frage, wie just die Amis auf die nicht schöne Mauer des August 61 reagierten.

Sie reagierten so. Mit ihren Panzern bis an die Sektorengrenze in Berlin heranzufahren. Und just dort auf die Bremse zu treten, anstatt „einfach weiter zu fahren".

Auch das kann man dann ja wohl der Rubrik „nicht schön" zuordnen.

 

Das alles hatte bezogen auf die Zeugen Jehovas, noch keine direkten Auswirkungen. Indirekte wohl aber auch schon für sie.

Erstes sichtbares Signal dazu, dass 1961 im Ostberliner Staatsverlag der DDR (erstmals) eine 124 Seiten umfassende Schrift zum Zeugen Jehovas Thema erschien. Das Pape-Buch

Davor war diesem Regime neben seiner Justiz-Repressionsschiene, dieses Thema allenfalls magere Zeitungs-Propagandaartikel wert, und das fast auch nur, die erste Zeit um 1950 herum. Was es danach noch an diesbezüglicher Publizistik gab, lässt sich an den zehn Fingern, buchstäblich abzählen.

Natürlich war das „Ich war Zeuge Jehovas" betitelte Buch des Pape aus dem Jahre 1961 alles andere als ein „Lobgesang" auf die WTG-Religion, wollte es selbstredend auch gar nicht sein.

Aber die Schallmauer der „Nur Justiz-Repression" war nun doch wohl durchbrochen.

Ihre nächste relevante Etappe war dann wohl Ende 1965 der Beginn des „Christliche Verantwortung"-Projektes, von dem es wiederum schon Vorläufer bis in das Ende der 1950 Jahre zurückreichend gab, durch den „Briefversand" des Willy Müller (letzterer dann auch anfängliche Galionsfigur der „Christlichen Verantwortung").

Auch der „Wachtturm" des Jahres 1960 berichtete noch über die Geschehnisse um die Zeugen Jehovas herum, in Ostdeutschland.

Zu dieser WT-Berichterstattung ist aber, wie bereits ausgeführt, anzumerken, sie schildert noch die Ausläufer der 1950er Politik, die sich nunmehr - allmählich - zu verändern begann.

Nachstehend dann ein paar Passagen aus dieser 1960er WT-Berichterstattung. Meines Erachtens kommt - indirekt - in ihr schon der Fall Willy Müller, so wie er sich damals der WTG darstellte (selbstredend ohne ihn namentlich zu benennen) mit zur Sprache.

Insbesondere ist da auf den Hinweis des WT über einen „gefälschten Wachtturm" hinzuweisen.

Allen bisherigen Forschungen zufolge, auch denen des Herrn Dirksen, gab es in Ostdeutschland nie ein Projekt „gefälschter Wachtturm".

In Polen indes, gab es dort das sehr wohl, nicht aber in Ostdeutschland. Meines Erachtens werden hier die frühen Müller-Briefe, von der WTG zum „gefälschten Wachtturm" hochqualifiziert, eine sicherlich unverdiente Ehre.

Aber offenbar war die WTG durch seine versandten Briefe, schon in einem gewissen Alarmzustand.

Vielleicht muss die Angabe eines „gefälschten Wachtturms" auch noch etwas anders gesehen werden.

Etwa zeitgleich mit den Müllerbriefen, lockerte das Ostdeutsche Regime auch die Rasenmäher-Verbote von 1950, die auch die WTG-Splittergruppen mit getroffen hatten, wesentlich. Diese Splittergruppen waren sicherlich nicht homogen. Numerisch die bedeutendsten Bestände vielleicht in Dresden.

Da gab es aber noch den Balzereit (Paul Balzereit sen.) Der war ja bereits aus der WTG-Geschichte bekannt, und dessen Namen hatte für die Ostdeutschen Apparatschicks vielleicht einen größeren Marktwert, als etwa der des Alfred Diener in Dresden. Im Zuge permanenter Papierknappheit in Ostdeutschland, musste sich Diener für seine religiösen Vorträge mit genehmigten Vervielfältigungen begnügen. Balzereit der eben seinen von Diener unabhängigen Laden aufmachen (durfte), bekam sogar eine eigene Zeitschrift („Nachdenkliches aus Leben und Christentum") zugestanden.

Auch wenn die vom Erscheinungsumfang in keiner Weise mit dem „Wachtturm" konkurrieren konnte, könnte man jedoch - bei oberflächlicher Betrachtungsweise - ihr den „Rang" eines „Ersatz-Wachtturms" zusprechen. Das aber wäre dann wirklich, nur eine oberfächliche Betrachtungsweise.

Man beachte in diesem WT-Bericht auch die zugegebene Adressensammelaktion, namentlich der Adressen von Apparatschicks des Ostdeutschen Regimes. Berichtet der WT also über eine Zunahme von Verhaftungen im Vergleich zum Vorjahr, ist just diese Adressensammelaktion als ein wesentlicher befördender Umstand dieser Entwicklung anzusehen.

Genug des Kommentares. Nachstehend dann noch kommentarlos, was der „Wachtturm" des Jahrganges bezüglich der Zeugen Jehovas in Ostdeutschland schrieb (WT 1. 3. 1960):

„Obwohl die kommunistischen Behörden alles Erdenkliche tun, um die Verkündigung des Königreiches Gottes zu unterdrücken, sind im kommunistischen Ostdeutschland viele neue Verkündiger in die Wahrheit gekommen. Da sind keine liebenswürdigen Reden über eine friedliche Koexistenz zu hören gewesen! Im Gegenteil, Jehovas Volk wurde im vergangen Dienstjahr noch mehr unter Druck gesetzt. Im vergangenen Jahr waren 77 Verkündiger wegen ihrer christlichen Tätigkeit verhaftet und zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden: doch dieses Jahr wurden 128 solche Fälle registriert.

Hier folgen einige Streiflichter, die den Kampf unserer Brüder in Ostdeutschland etwas näher beleuchten. Die Anklage, die man gegen sie erhebt, werden immer lächerlicher. Als die Verkündiger in Ostdeutschland zum Beispiel die Adressen der Regierungsbeamten, Richter und anderer führender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sammelten, um ihnen den Resolutionstraktat zuzustellen, wie das in allen übrigen Ländern geschah, wurde das von kommunistischer Seite als Spionage und Einziehen von geheimen Informationen bezeichnet.

Man ging soweit, daß man Tausende von Verkündigern durch bezahlte Spitzel ständig überwachen ließ. Hunderte von denen, die man als aktive Prediger verdächtigte, wurden vorgeladen und langen Verhören unterzogen, in denen man sie entweder durch Freundlichkeit oder durch Zwang für den Kommunismus zu gewinnen und zu veranlassen suchte, ihre Brüder zu verraten. Der SSD (kommunistischer Staatssicherheitsdienst) organisierte sogar, unterstützt durch seinen Helfershelfer, einen Einbruch in das Zweigbüro, das sich auf Westberliner Boden außerhalb seines Machtbereiches, befindet, in der Hoffnung, Material zu finden, das gegen die Brüder in Ostdeutschland hätte gebraucht werden können.

[Einfügung: Siehe zu letzterem auch Die Sache mit dem Einbruch im Westberliner WTG-Büro

Viele Brüder wurden am Abend des Gedächtnismahles in ihren Wohnungen belästigt, um sie daran zu hindern, diese christliche Feier zu begehen."

Dann meint der WT weiter jubeln zu sollen:

„Ein gutes Beispiel, das zeigt wie Jehovas Geist seine Diener in Zeiten der Not aufrecht erhält und ihren treuen Dienst segnet, wurde aus einer kleinen Stadt in Ostdeutschland berichtet, wo ein reifer Bruder verhaftet und zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Dieser Bruder war in jener Stadt eine ziemlich bekannte Person. Die übrigen Verkündiger ließen sich dadurch nicht von Furcht ergreifen sie bemühten sich in jenem Monat um so mehr, die Menschen guten Willens zu betreuen, damit diese durch die Verhaftung des Bruders ja nicht zurückschrecken würden, in der Wahrheit Fortschritte zu machen. Das Ergebnis war, daß am Ende des Monats in jener Stadt neunzehn Heimbibelstudien mehr durchgeführt wurden und sechs neue Verkündiger im Dienste standen.

Nachdem die vor zwei Jahren unternommene Aktion, nämlich die Versendung eines von kommunistischer Seite redigierten „Wachtturms", so jämmerlich fehlgeschlagen hatte, daß dessen Erscheinen nach einigen Ausgaben wieder eingestellt werden mußte, sind die kommunistischen Behörden nun auf einen neuen Gedanken gekommen.

Sie versenden neuerdings an die Zeugen Jehovas in ganz Ostdeutschland vervielfältigte Briefe, die von Verkündigern geschrieben worden sein sollen, die im Gefängnis sind und die ihre Brüder ermahnen, aus ihren bitteren Erfahrungen eine Lehre zu ziehen. Sie versuchen diesen klarzumachen, sie seien nicht wegen ihres Glaubens im Gefängnis, sondern weil sie „eine Tätigkeit entfaltet" hätten, „die mit christlichen Grundsätzen nicht mehr vereinbar" sei. Sie fordern ihre Brüder auf, nicht mehr mit der Gesellschaft zusammenzuwirken, da diese den Pfad der christlichen Neutralität verlassen habe und „am Propagandafeldzug des westens teilnehme, ja „die Partei des Westens gegen den Osten" ergreife. Sie gehe „weit über die Befugnisse einer religiösen Organisation hinaus, hinein in die Welt, von der sie getrennt zu sein" vorgebe.

Die Verkündiger erkennen natürlich die Sprache dieses „brüderlichen Rats", und nur einige Personen, die schon immer mit den Vorkehrungen, die Jehova für seine Schafe getroffen hat, nicht zufrieden waren, fielen darauf herein. Wir leben wirklich in einer Zeit, in der es heißt, wachsam zu bleiben und seine äußeren Kleider zu bewahren, Wer auf Kompromisse eingeht, wird kein Leben in Jehovas neuer Welt erlangen."

Wieder einmal die Sowjetunion

Was nun die Sowjetunion anbelangt, kann man, will man nur „populär" (also nicht streng wissenschaftlich) formulieren, ihr sehr wohl eine Ersatzreligion bescheinigen, die zudem mit der herrschenden Staatsideologie identisch ist. Abweichungen von dieser Linie meint das sowjetische System sich nicht leisten zu können. Zu beachten wäre auch noch, dass es dort kein Blockflötenpartei-Spektrum wie etwa in Ostdeutschland gab, was die Situation zusätzlich verschärfte. Wer im sowjetischen Regime abweichende Meinungen vertrat, der hatte dort in der Tat nichts zu lachen.

Die andere Seite der Medaille wäre dann wohl die, dass die Registrierung dieser sowjetischen Rahmenbedingungen, durch die USA-Falken (und noch ein paar mehr Falken) bei denen ein Gefühl des sich auf die Schulter klopfens auslöste.

Da konnte man auf diese Art ganz bequem verklickern. Was, in den USA gibt es keine gesetzliche Gesundheitsversicherung? Die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sei in erster Linie eine Frage des Geldbeutels. Wenn der gut gefüllt, stellen sich kaum Probleme. Wesen Geldbeutel indes weniger gut gefüllt, der hat halt im Fall der Fälle Pech gehabt.

Darüber nun wiederum zu diskutieren, war für die USA-Presse kein Thema.

Thema für sie indes war es sehr wohl mit dem Finger auf die Sowjetunion zu zeigen, und im Sinne der Toynbee'schen These in allen Katzenkonzert-Tonarten, über die dortige Einschränkung der Konsumierung religiösen Opiums zu lamentieren.

Etwa um 1959 lieferte dann die sowjetische Presse den USA-Falken auch wieder mal, in besonders reichlichem Maße diesbezügliche Schlagzeilen. Die wiederum, man ahnt es schon, waren im besonderen vom Zeugen Jehovas-Thema dominiert.

Man ahnt es weiter, solcherlei Steilvorlagen lässt sich auch die WTG nicht entgehen. Und wenn sie zu deren Mitteilung noch nicht einmal originale sowjetische Quellen bemühen muss (deren Beschaffung ja vielleicht etwas umständlich sein könnte), sondern einfach nur USA-Zeitungen dazu zitieren bracht, dann ist wohl auch für die WTG der relative Glücksfall eingetreten.

Als Bestätigung vorgenannter Ahnung begegnet man in der „Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 7. 1960 solch einer etwa fünf „Erwachet!"-Druckseiten umfassenden Zusammenfassung.

Und die WTG wäre nicht die WTG, würde sie es nicht auch verstehen, ihre lauwarme Suppe, bei dieser Gelegenheit gleich auf etwas höhere Temperaturen anzuheizen.

„Wie wird die Sache ausgehen?" fragt „Erwachet!" mehr zum Schluss seines Berichtes. Und meint auf diese selbstgestellte Frage mit den Sätzen antworten zu können:

„Gottes prophetisches Wort zeigt im Buche Daniel, daß die herrschenden Elemente des Weltkommunismus der für die heutige Zeit vorausgesagte 'König des Nordens' sind und daß dieser kommunistische 'König' schließlich einen Großangriff auf die Zeugen Jehovas unternehmen wird."

Und dazu verweist man auf das eigene Buch „Dein Wille geschehe" welches just diese These auch im besonderen postuliert.

Und weiter: „Aber dieser letzte Großangriff des kommunistischen Königs endet im Krieg von Harmagedon, in dem er durch die Hand Gottes sein Ende finden wird."

Und sieht man sich jenen „Erwachet!"-Artikel im Detail an, findet man da in der Tat eine ganze Latte von Anti-Zeugen Jehovas-Publizistik erwähnt, allesamt wohl erst im Jahre 1959 gestartet.

Für die sowjetischen Unterbelichteten, scheint da in jenem Jahre ein besonderer Startschuss gegeben worden zu sein, was wiederum bei einer gleichgeschalteten Presse Marke Rot-braun oder Braun-rot auch nicht sonderlich verwunderlich ist.

Zitiert wird da unter anderem die „Chicago Sunday Tribüne" 20. 12. 1959 (USA).

Die wiederum beruft sich auf die „Prawda Ukrainij" (Kiew, Sowjetunion); letztere wird noch mit einem weiteren Artikel von 15. 7. 1959 bemüht.

Dann die „Prawda" (Moskau, Sowjetunion) 18. 3. 1959;

Das „Journal-Every-Evening" aus (Wilmington, Delaware, USA) vom 26. 3. 1959;

Die „Washington Post" (USA) vom 21. 3. 1959;

Dann die russische Illustrierte „Krokodil" vom 30. 5. 1959;

Die „Sowjetskaja kultura" (Sowjetunion) vom 13. 1. 1959

Selbst in der Pariser Zeitung „Le Monde" (Frankreich) vom 17. 7. 1959 soll es einen Bericht gegeben haben.

Letzterer wiederum beruft sich auf einen Artikel der „Komsomolsjaja Prawda" (Sowjetunion).

Auch die englische Zeitung „The Observer" (15. 11. 1959) sei mit in diese Berichterstattung eingestiegen.

Und damit die Berichterstattung in der USA-Provinz nicht vergessen wird, erwähnt auch „Erwachet!" noch das Blatt „Paterson News" (New Yersey, USA) vom 11. 4. 1959.

Also sicherlich eine umfangreiche thematische Publizistik.

Da man ja Weltmeister der in sich selbst erfüllenden Prophezeiungen ist, legte das bei den ebenfalls (pardon) Unbedarften zeitgenössisch WTG-Hörigen, wieder einmal das ach so nahe Harmagedon in ihren Sinn.

Zu der Art, wie die WTG das alles vermarktet, gehört dann auch die Aussage:

„Eine Zeitung wies darauf hin, daß die Zeugen Jehovas in den Vereinigten Staaten manchmal von gewissen Kreisen als Kommunisten verschrieen werden."

Und Balsam für die WTG-Seele ist da sicherlich die Zeitung „Journal-Every-Evening" (in Wilmington, Delaware, USA), die dazu kommentierte:

Die Superpatrioten in unserem Land, die die Sekte der Zeugen Jehovas als staatsfeindlich betrachten, haben merkwürdige Bettgenossen. Die Russen betrachten sie nämlich auch als das. Doch im Gegensatz zu unseren Superpatrioten finden jene nicht, daß die Zeugen kommunistisch beeinflußt seien."

A ja, wenn also selbst das Provinzblatt „Journal-Every-Evining" das schon feststellte, dann wäre wohl ein weiterer Kommentar zu diesem Possenspiel, bei dem man sich die Bälle gegenseitig zuwirft, wohl überflüssig!

Das einmal aufgegriffene Thema hat es dann der WTG angetan. Und so legt sie schon in der „Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 11. 1960 unter der reißerischen Überschrift „Der sowjetische Plan zur Welteroberung" nach.

Erneut formuliert man:

„Vor kurzem fanden die westlichen Zeitungen einen gewissen Trost in der Tatsache, daß die russische Presse gegen die zunehmende Tätigkeit, die die Zeugen Jehovas hinter dem eisernen Vorhang entwickeln, wetterte."

Halten wir uns jetzt nicht weiter bei der Vokabel „Eiserner Vorhang" aus WTG-Munde (der ach so „unpolitischen") auf.

Eine Quintessenz dieser Ausführungen besteht dann wohl in der WTG-Aussage:
„Es wird Menschen in allen Ländern interessieren, zu erfahren, daß Gottes Wort einen Generalangriff der Sowjetplaner auf die Diener Jehovas voraussagt. ... Dieser Angriff der kommunistischen Welteroberer gibt Gott, dem Allmächtigen Anlaß, die vorausgesagte Vernichtung des Weltkommunismus herbeizuführen ..."

Nun kann ja schwerlich bestritten werden, dass WTG und der Ostblock sich da gegenseitig „hochschaukelten". Indes auch das ist klar; auch die WTG hat damit bei weitem den Grad der „diplomatischen Höflichkeit" verlassen. Wenn also östliche Apparatschicks den Zeugen Jehovas vorwarfen, ihre Organisation sei die der religiösen Antikommunisten, dann bekamen sie hier wohl wieder einmal, eine Belegstelle für diese These frei Haus geliefert.

Und was den eigentlichen Inhalt der „Erwachet!"-Ausführungen über den „sowjetischen Plan zur Welteroberung" anbelangt, kann man wohl nur sagen. McCarthy lässt grüßen. Viel „besser" hetzen konnte wohl auch der nicht.

Und dann noch dies, das „Erwachet!"-Geschwafel ernst zu nehmen, wäre wohl zuviel der unverdiente Gnade.

Man kann es eigentlich auch kürzer sagen.

Wenn zwei dasselbe tun, sei es doch nicht das Gleiche. Imperialistischen Expansionsbestrebungen frönt auch die WTG. Und wenn sie dann glaubt selbige auch bei den Kommunisten wahrzunehmen. Wer ist denn da nun „besser"?

Sklaven

„Gott verbietet nach Rassen getrennte Versammlungen und Taufen nicht".

Zumindest dann wenn es sich um den Gott der Zeugen Jehovas handelt, wie dem „Wachtturm" vom 15. 10. 1960 zu entnehmen ist. Besagter Gott hat „noch mehr auf dem Kasten".

Da der Begriff Sklave ja zu seinem Standerrepertoir gehört, ist besagter Gott doch sehr erstaunt gewesen, wenn einige jenen Begriff nicht so recht mögen.

Das hat sich dann wohl bis in die Kreise der „Sprachrohre" dieses Gottes auf Erden, in mehr widerwilligem Sinne, herumgesprochen.

Denn diegleiche WT-Ausgabe weis weiter zu vermelden:

„Überrschenderweise haben einige farbige Brüder energisch gegen den Gebrauch des Wortes „Sklave" in der Neuen-Welt-Übersetzung ... protestiert."

Da in dieser „göttlichen Organisation" aber Protest prinzipiell nicht vorgesehen ist, wähnten die „göttlichen Statthalter" weiter mit den Wölfen zu heulen, vielleicht auch, um jenen genanten Protestlern zu „verklickern", wie „unpassend" doch ihr Protest sei.

Nun war in den 1960er Jahren in den USA die Rassentrennung immer noch ein ziemlich heißes Eisen. Ein Martin Luther King etwa, der sich vehement gegen sie verwandte, gehörte ja in der Sicht der „göttlichen Statthalter" nicht zur „göttlichen Organisation".

Und wohl um auch besagten Herrn King zur „Raison" zu bringen, fanden die „göttlichen Statthalter" es für angemessen, auch dem Herrn King und seinen Intentionen kräftigst in den Rücken zu fallen.

Wo kämen denn die „göttlichen Statthalter" hin, sollten sich noch ein paar mehr gegen den Begriff Sklaven in Theorie und Praxis wenden.

Sklaven müssen sein, gibt es die nicht, sind auch die „göttlichen Statthalter" prinzipiell in Frage gestellt.

Die diesbezügliche Belehrung erteilten die „göttlichen Statthalter" ihren Sklaven in der Form einer Leserfragenbeantwortung im „Wachtturm" vom 15. 10. 1960

Da wurde angefragt:

„Warum duldet die Watchtower Society - wenn sie doch keine Rassenvorurteile hat - anläßlich ihrer größeren Versammlungen in gewissen Teilen des Landes (USA) die Rassentrennung? Kommt dies nicht einem Kompromiss gleichen? - F. C. Wisconsin

Und als Antwort darauf werden die Sklaven belehrt:

„Weshalb wir uns den Rassentrennungsgesetzen und dieser Taktik gewisser Regierungen und Organisationen dieser Welt fügen, ist die Frage.

Nun, weil Jehova uns nicht damit beauftragt hat, die Welt zu bekehren, da sie Böse ist, daß sie nicht mehr gebessert werden kann und daher vernichtet werden wird. Jehova hat uns beauftragt, das Evangelium zu predigen.

Sollten wir uns gegen Cäsars Rassentrennungsgesetze anstemmen, wenn sie uns nicht zwingen, Gottes Gesetze zu übertreten? Gott verbietet nach Rassen getrennte Versammlungen und Taufen nicht."

Im Prinzip kann man auch die „Wachtturm"-Ausgabe vom 1. 11. 1960 als Fortsetzung dieser Thematik ansehen.

Unter der „Überschrift: Sozialreform oder die Gute Botschaft?" verbreitet sich der WT dort mit der Aussage:

„Zu welchem Werk ´beauftragte Gott Christen? Zu der Verkündigung eines „sozialen Evangeliums" oder der guten Botschaft vom Königreich?

Viele mögen daran Anstoß nehmen. Woran denn? An der Erklärung, daß sich jemand sein Leben lang hochgerühmten Werken widmen und doch nicht Anerkennung Gottes haben könnte.

Was sollen wir denn von dem halten, was im allgemeinen das „soziale Evangelium" genannt wird? Ist Weltverbesserung das Werk, das Christen durchführen sollen?

Ohne Zweifel könnte viel Zeit auf die Arbeit im Interesse einer sozialen Reform verwandt werden. Zum Beispiel mag es Menschen geben, die ihr ganzes Leben der Bekämpfung des Lasters, wie des Spielens (um Geld), der Prostitution oder der Trunksucht, widmen. Wir könnten dem Versuch, die Dinge, die der Welt zur Unterhaltung dienen, wie Filme, Bücher und Zeitschriften, einer Reinigung zu unterziehen, unsere ganze Lebenskraft widmen. Wieviel Kraft könnte auch darauf verwendet werden, Armut und Kriminalität zu bekämpfen! Der Christ, der sieht, in welch übler Lage die Welt steckt, fragt sich unwillkürlich: Auf welche Weise kann ich am meisten Gutes tun?

Die Antwort lautet: Wir können dadurch am meisten Gutes tun, daß wir den Willen Gottes tun. Gottes Wille schreibt Christen vor, dem Beispiel des Herrn Jesus Christus genau zu folgen.

Sozialreformer sind deshalb oft nicht wenig schockiert über die Tatsache, daß der Apostel Paulus die Sklaverei nicht bekämpfte. In den Tagen des Paulus war die Sklaverei überall gang und gäbe, und das sowohl bei den Schwarzen wie bei den Weißen. Dennoch setzte Paulus keine Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in Gang, noch widmete er sein Leben einer Bewegung, die auf eine Sozialreform abzielte.

Weshalb lehnte Paulus es ab kostbare Zeit für das „soziale Evangelium" zu verschwenden? Weil er wußte, daß Jehova Gott durch sein Königreich, dessen Herrrschaft in den Händen Jesu Christi liegt, die Sklaverei in wirtschaftlicher, industrieller und gesellschaftlicher Hinsicht im Krieg von Harmagedon beseitigt.

Wer sich an den Weltverbesserungsprogrammen dieser Welt beteiligtf also das "soziale Evangelium" statt der guten Botschaft vom Königreich predigt, zieht sich die Feindschaft Gottes zu, Sich das „soziale Evangelium" statt der in der Bibel beschriebenen reinen Anbetung als Religion zu wählen führt zu Nichtigkeit und Verderben, Bald wird nun Gott in Harmagedon 'die verderben, welche die Erde verderben.' Das 'soziale Evangelium' kann weder Gottes Beschluß umstürzen noch in Harmagedon Leben retten...."

Wiederholung

Wiederholung und nochmals Wiederholung ist offenbar auch die Strategie der WTG.

Zum Thema der berüchtigten „Theokratischen Kriegslist" begegnet man in der „Wachtturm"-Ausgabe vom 1. 8. 1960 auch solch einer Wiederholung. Dort wird vermeldet:

„Von Zeit zu Zeit erhalten wir Briefe, in denen wir gefragt werden, ob gewisse Umstände es rechtfertigen könnten, daß ein Christ in bezug auf seine Pflicht stets die Wahrheit zu sagen, eine Ausnahme machen könnte."

Und als in seiner Sicht genehmigte Ausnahme verkündigt der WT:

„Eine Ausnahme sollte der Christ jedoch stets im Sinn behalten. Als Soldat Christi nimmt er an einem theokratischen Kriegszug teil, und den Feinden Gottes gegenüber muß er größere Vorsicht walten lassen."

Und weiter meint der WT:

„Die Bibel zeigt deshalb, daß es zum Schutz der Interessen der Sache Gottes angebracht ist, die Wahrheit vor Feinden Gottes zu verdecken."

Letztere Vokabel nochmals wiederholen:

„Wahrheit ... verdecken".

Zwar soll sie denn nicht auf die Goldwaage gelegt werden, gleichwohl ist es Tatsache, dass namentlich staatliche Geheimdienste, sich ähnlicher Vokabeln bedienen.

„Verdeckte Aktionen" gehören auch zu deren grundlegenden Einmaleins.

Eine WT-Ausgabe davor (15. 7. 1960) wird rückblickend gejubelt:

„Der Vortrag über das Thema: 'Vorsichtig wie Schlangen unter Wölfen', durch den gezeigt wurde, daß die Bibel die Anwendung von 'Kriegslist' gegenüber Feinden rechtfertigt, wurde von allen sehr geschätzt ..."

Siehe auch Weiteres zum Thema „Theokratische Kriegslist

Skrupellos

In „Erwachet!" vom 22. 10. 1960 ereifert sich die WTG unter der Überschrift „Die deutschen Protestanten in einer Zwickmühle" auch wie folgt:

Heute leiden viele Protestanten unter der eisernen Faust des kommunistischen Regimes. Müssen sie wiederum blind gehorchen und mit Tyrannen Hand in Hand arbeiten? Wie können sie aus Gewissens gründen Widerstand leisten, wenn ihr traditioneller Glaube lehrt, daß jede Obrigkeit, sie sei gut oder böse, Gottes Vertreterin ist?

An dieser Auseinandersetzung ist vor allem die Evangelische Kirche in Deutschland die EKD beteiligt.

Der Vorsitzende ihres Rates ist der bekannte Bischof Dibelius. Vor einiger Zeit hat Dibelius durch den Abschluß des Militärseelsorge-Vertrags mit der deutschen Bundesregierung Öl ins Feuer dieser Auseinandersetzung gegossen. Die Kommunisten und sogar einige seiner Kirchenfreunde haben heftig dagegen protestiert. Niemöller, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen, bezeichnete den Vertrag als den größten Schildbürgerstreich seit 1933.

Die traditionelle, Auffassung über den Staat hat auch zu heftigen Meinungsverschiedenheiten über Besitz und Anwendung der Atomwaffen geführt. Professor Vogel von der Humboldt-Universität in Ost-Berlin sagte: "Den Menschen, den Gott so geliebt hat, wie es das Evangelium sagt, zum Gegenstand von Massenvernichtungsmitteln auch nur in Gedanken zu machen, ist Sünde. Das ist mehr als Verbrechen und Wahnwitz. Sein Kollege, Professor Künneth aus Erlangen, war gegenteiliger Meinung; er erklärte, daß die Atomwaffen vielleicht angewandt werden müßten, um einen Massenmord zu verhindern:

"Selbst diese schrecklichen Waffen könnten in den Dienst der Nächstenliebe treten."

Im vergangenen Jahr vergrößerte Bischof Dibelius die Verwirrung durch die Veröffentlichung einer ...Schrift für die überschrieben war: „Obrigkeit? Eine Frage an den 60jährigen Landesbischof Hanns Lillje."

Um diesen Bruch mit der jahrhundertealten Auffassung zu illustrieren, verwendete er ein Bild aus dem Straßenverkehr: Wenn gute Regierungen Verkehrsgesetze erlassen, die für alle Menschen Geltung haben, wäre es verkehrt, diese Gesetze zu verletzen, selbst wenn sie einem töricht vorkommen würden. Irgendwie scheint Gottes gnädiger Wille durch die Torheit der Menschen hindurch. Aber das gelte nicht von den Gesetzen, die Regierungen wie jene der kommunistischen ostdeutschen Republik erlassen.

Bischof Lillje konnte ihm nicht zustimmen:

"Die Ansicht von Dibelius kann ich nicht teilen, ganz egal ob Bundesrepublik oder DDR. Man kann auf der Straße nicht fahren, wie man will ... Es ist kein einfaches Problem, wenn sich der Christ einem Staat gegenübersieht, dessen Auffassungen mit den Grundvoraussetzungen des christlichen Glaubens nicht vereinbar sind. Aber auch das ist Obrigkeit."

In einem offenen Brief an die Synode bezeichnete Professor Vogel aus Ost-Berlin die These des Bischofs Dibelius als "Irrlehre" und erklärte, daß ein Christ auch den Gesetzen im kommunistischen Ostdeutschland gehorchen müsse, nicht nur, weil man sonst nicht existieren könne, sondern "um des Gewissens willen." Vogel verlangte daß ein klares, biblisch begründetes Zeugnis gegenüber den Ansichten des Bischofs Dibelius abgegeben werde."

Und der WTG-eigene Kommentar zu vorstehender Referierung lautet dann:

„Zu den Deutschen, die an diesem umstrittenen biblischen Grundsatz stark interessiert sind, gehören die Tausende von Zeugen Jehovas in Ost- und Westdeutschland.

Sie befinden sich nicht in einer solchen Zwickmühle wie die deutschen Protestanten."

Auch Hans-Jürgen Twisselmann kam in seinem Buch „Vom Zeugen Jehovas zum Zeugen Jesu Christi" auf den vorzitierten „Erwachet!"-Artikel mit zu sprechen. Und im Anschluss daran hängte auch er noch einen Kommentar dazu dran aus dem dann noch nachfolgendes zitiert sei:

„Bemerkenswert ist jedoch noch folgendes: In den Wachtturm-Ausgaben vom l. l., 15. l. und l. 2. 1963, in denen die Rückkehr zur ursprünglichen Auslegung von Römer 13 vollzogen wird, finden wir kein einziges Wort der Reue oder des Bedauerns über seine bisherige, dreiunddreißig Jahre lang als helle Wahrheit ausgegebene Irrlehre. Statt dessen verweist der Wachtturm-Schreiber auf frühere Wachtturm-Ausgaben aus der Zeit vor 1929 und auf zwei Schriftstudienbände Russells. Soll damit nicht der Eindruck erweckt werden, daß die Wachtturm-Gesellschaft schon seit eh und je so gedacht hat, wie sie es 1963 sagt? Ist das nicht im Ansatz wieder die gleiche Verschleierung, wie sie schon oft von dieser Gesellschaft praktiziert wurde?

Heute ist es offenbar nicht mehr opportun, unter Verdrehung von Römer 13 den Staat zu verteufeln. Aber gerade das schien den Machthabern in Brooklyn 1929 erforderlich. Damals brauchte man eine krasse Schwarz-Weiß-Malerei: hier Organisation Jehovas, dort Organisation Satans.

Rutherfords „theokratische Organisation" suchte darüber hinaus Bibelworte zum Erweis ihrer Existenzberechtigung und ihrer hohen Würde, die sie beanspruchte. Nach der damaligen Auslegung kam ihr die Stellung von ,,obrigkeitlichen Gewalten" zu, von ,,Regenten", die ein Schrecken sind für das böse, aber ein Belohner für das gute Werk.

Die Führer der ,,Neuen-Welt-Gesellschaft" brauchten den gestohlenen Purpurmantel der Obrigkeit, um sich selbst damit zu schmücken.

Im Wachtturm" vom 15. 8. 1952 heißt es bezeichnenderweise: „Diesen theokratischen höheren Obrigkeiten ist große Macht zu Strafsanktionen anvertraut. Sie haben die Macht, das Gericht an allen Gegnern zu vollziehen. (Dann folgt der Text Rom. 13, 2-4, und darauf die Drohung:) Wahrlich, als Untergeordneter unter Gottes theokratische Organisation gebracht zu werden, bedeutet ein äußerst ernstes Verhältnis. Nie darf vergessen werden, daß Übeltun, grobe Untreue und Widerstand gegen Gottes theokratische Regierungsobrigkeiten furchtbare Folgen nach sich ziehen" (S. 253).

Es gab Zeiten, da wurden alle möglichen und unmöglichen Bibelstellen auf die Wachtturm-Gesellschaft und ihre Werke bezogen. ...

Die WTG-Skrupellosigkeit offenbart sich auch an einem Bericht in „Erwachet" vom 22. 9, 1960. Da ging es um Jordanien und darum, dass die dortige Regierung sich quer stellte, die Zeugen Jehovas anzuerkennen. Einen moslemischen und einen christlichen Rechtsanwalt engagierte daraufhin die WTG zur weiteren Durchführung ihrer Rechtshändel. Da ist man ja fast geneigt sich zu erinnern, das zu Nazizeiten die WTG auch schon mal einen Anwalt mit NSDAP-Parteibuch (Kohl) sich engagierte.

Das jedoch mag man ja als zweitrangig werten.

Das jordanische Regime bezichtigte nun auch die Zeugen Jehovas der Zionismusbegünstigung, und selbiges ist eben ein Punkt wo dieses Regime besonders allergisch reagierte.

Lies nun die WTG ihre Zionismus-Begünstigungs-Literatur, bis weit in die 1920er Jahre hinein, auch zitieren?

Das vermied sie selbstredend.

Sie aber glaubte einen anderen Trumpf ins Spiel bringen zu können.

In den Worten von „Erwachet!"

„Darauf wurde aus dem populären Studienhilfsmittel 'Gott bleibt wahrhaftig' (erste Ausgabe) folgendes vorgelesen:

„Die Geschehnisse und Prophezeiungen zeigen, daß die natürlichen Juden nie wieder als ein auserwähltes Volk gesammelt werden. Sie haben als Volk den Messias, seine Wahrheit und sein Königreich offensichtlich verworfen." ... Es wurde darauf hingewiesen, daß Gott sein Urteil nicht umstoße und keine politischen Mächte dieser Welt dazu gebrauche, sein Wort ungültig zu machen."

Dazu jubelt „Erwachet!" dann:

„Dieser Gedanke blieb den Zuhörern im Gerichtssaal besonders gut im Gedächtnis, und er wurde oft als eines der besten Argumente bezeichnet, die je in Verbindung mit dieser Streitfrage vorgebracht wurden."

Nochmals „zum mitschreiben". Da beruft sich die WTG also auf die erste Ausgabe von „Gott bleibt wahrhaftig" welche Englisch 1946; deutsch 1948 erschien. Die „glänzte" in der Tat mit der zitierten Passage und noch ein paar mehr der Art.

Zum Beispiel mit der dort enthaltenen Passage über die Juden: "Viele ihrer Leiden haben sie sich durch ihre Geschäftemacherei und ihr rebellisches Handeln zugezogen" (S.224).

Dazu wurde schon mal festgestellt:

Dieser Satz nach dem Holocaust! Das ist dann viel zu wenig, wenn in der (wohl erzwungenen) Zweitauflage dieses Buches dieser Satz von den Herausgebern stillschweigend weggelassen wird. Das ist viel zu wenig.

Genau, und jene genannte revidierte Auflage, datiert auf das Jahr 1958.

Dem jordanischen Gericht gegenüber gaukelt man indes vor, es sei noch die 1946er Auflage mit ihren inkriminierten Aussagen gültig.

Bezeichnet man solcherlei Gebaren als Skrupellos, ist das dann wohl noch eine milde Umschreibung.

Indem man die Hosen strammt zieht

Also weis der „Wachtturm" vom 15. 3. 1960 zu verkünden

„Der weise Elternpartner hält seine Kinder heute dicht an seiner Seite. Er ist an ihnen interessiert und studiert mit ihnen zu Hause regelmäßig die Bibel. Er folgt all den weisen Ratschlägen des Wortes Gottes, um sie richtig zu schulen. Wenn die Zeit da ist, die Versammlung zu besuchen, weiß er, daß Kinder nicht erst gefragt werden sollen:

M ö c h t e s t du mitgehen. Auch soll ihnen nicht der Gedanke suggeriert werden:

Du fühlst dich heute abend wohl recht müde, Liebling?

Auch nimmt man sie nicht einfach aus dem Grunde mit, weil niemand zu Hause ist, der sich ihrer annehmen würde.

Man läßt die Kinder auch nicht aus dem Grunde zu Hause, weil sie in der Versammlung einen zu großen Lärm machen könnten. Man nimmt die Kleinen in die Versammlung mit, ob sie es wollen oder nicht.

Und wenn sie sich nicht gut aufführen, weist man sie zurecht, und zwar nicht dadurch, daß man sie mit Bonbons besticht, sondern indem man ihnen, wenn es nötig werden sollte, die Hosen strammt zieht. Sie verstehen recht schnell, daß sie hierher gekommen sind, um zuzuhören und etwas zu lernen.

Wie berichtet wird, sagen die Jesuiten:

„Gib mir ein Kind von sechs Jahren, und ich werde es zu einem Katholiken machen."

Sie erkennen, daß das ganze Leben eines Menschen während der Jahre des zarten Alters geformt werden kann. Die Eltern in Gottes großer Familie sollten ihren Kindern gegenüber noch eifriger sein."

Leider hat der WT zwar eine Illustration an der zitierten Stelle mit eingefügt. Sie zeigt Kinder an der Hand ihrer Eltern; aber sonderlich aussagekräftig ist sie wohl nicht.

Auch wenn nachfolgende Karikaturen nicht auf dem Ureigensten WTG-Mist gewachsen sind, ihre Intentionen haben sie sicherlich erfasst.

„Sollte ein Christ den Psychiater konsultieren?"

Der für „Friede Freude Eierkuchen"-Verkäufer doch wohl eher ungewöhnlichen Frage: „Sollte ein Christ den Psychiater konsultieren?" begegnet man in der „Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 5. 1960.

Es kann unterstellt werden, ohne Not hat die WTG dieses Thema sicherlich nicht aufgegriffen.

„Diese Frage wurde schon von vielen aufrichtigen Christen gestellt", weis „Erwachet!" weiter zu berichten. Und weiter:

„Die Antwort hängt davon ab, wie stark die seelischen Störungen sind und was für einen Psychiater man aufsuchen will."

Auch die WTG muss einräumen, im Falle eines Nervenzusammenbruchs, geht es wohl kaum anders.

Aber „wohl" ist den WTG-Apparatschicks bei ihrem Antwortversuch nicht. Dafür steht dann auch das WTG-Postulat:

„In der Regel heißt es jedoch soviel wie Waffenstreckung, wenn ein Christ zu einem weltlichen Psychiater geht; es bedeutet soviel wie, 'nach Ägypten hinabzuziehen um Hilfe'"

Und weiter WTG an die Adresse der Psychiater:

„Sie stimmen sicher mit Freud, dem bekannten Psychiater überein, der behauptete, die Religion sei 'die große Illusion' und der Mensch werde ihr eines Tages entwachsen ..."

Das indes will die WTG nicht gelten lasse; und so bringt sie ihre Grundbesorgnis mit dem Satz auf den Punkt:

„Wenn ein Zeuge Jehovas zum Psychiater geht, kommt es häufig vor, daß der Pschiater ihn davon zu überzeugen sucht, daß seine seelischen Störungen von seiner Religion herrühren."

Indem die WTG nach Kräften bemüht ist, letzteres abzuleugnen, ist aber mit dieser Ableugnung, das Problem keineswegs aus der Welt. Einiges spricht eher dafür, es potenziert sich noch durch die Ableugnung.

Es kann jetzt und hier nicht darum gehen das bereits erfundene Rad erneut zu erfinden. Auch andernorts wurde das Thema ja schon aufgegriffen.

Als Beispiel solcher zusammenfassenden Referierung andernorts dann mal ein paar thematische Auszüge dazu, aus der einschlägigen Printzeitschrift „Brücke zum Menschen"

"Jehovas Zeugen sind das glücklichste Volk auf Erden. Wir brauchen einen Psychiater noch weniger als sonst irgend jemand."

Diese Behauptung wird gegenüber Zeugen und Außenstehenden oft erhoben (siehe beispielsweise in Erwachet! vom 22. Mai 1960, S. 27, 28). Und Außenstehende können auf den ersten Blick sehr wohl den Eindruck haben, daß sie "ein glückliches Volk" sind.

In letzter Zeit aber ergibt sich aus der Forschungs- und der allgemeinen Literatur ein ganz anderes Bild. Es hat sich nämlich gezeigt, daß Psychische Probleme unter Jehovas Zeugen ziemlich häufig auftreten. ...

Innerhalb des Glaubensgebäudes der Zeugen Jehovas gibt es viele Faktoren, die eine positive geistige und emotionale Entwicklung ermöglichen. Genauso aber (Gegenteiliges).

Als sehr großes Problem erweist sich allerdings die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Zeugen und den Angehörigen der helfenden Berufe. Die Tatsache, daß die Wachtturm-Gesellschaft sich in dieser und vielen anderen Fragen so unbeweglich verhält, ist einer der Hauptgründe dafür, daß psychische Erkrankungen auftreten und daß sich eine allgemein fortschreitende Entfremdung vieler Zeugen von ihrer Organisation einstellt.

Das Engagement in einer festgefügten, unterstützenden sozialen Gruppierung kann zu intellektuellem, spirituellem, emotionalem Wachstum und zu einer Verbesserung der Lebenstüchtigkeit führen, sofern diese Umgebung eine Entwicklung auf diesen Gebieten befürwortet. Wenn andererseits alle Gedanken um eine kurz bevorstehende Zukunft kreisen, in der alle Probleme automatisch und schmerzlos gelöst werden, dann wird man sich nicht um eine Besserung seiner gegenwärtigen Lage bemühen.

Den Zeugen wird ganz offen davon abgeraten, Verbesserungen in den verschiedendsten Lebensbereichen anzustreben, besonders dem der Bildung, des beruflichen Werdegangs und des wirtschaftlichen Aufstiegs, alles Bereiche, die sehr wichtig sind für eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft.

Aktivität wird nur auf jenen Gebieten gefördert, die den Zielen der Wachtturm-Organisation dienen.

Nicht immer ist der Einfluß, unter dem die Zeugen stehen, zum Guten. Wer sich mit der Sache der Zeugen immer mehr identifiziert und sich für sie engagiert, wird sich auch gefühlsmäßig daran binden. Wie zu erwarten, führt das zu einer Verteidigungshaltung gegenüber Gedankengut, das als nicht vereinbar mit den theologischen Vorstellungen der Zeugen angesehen wird, unabhängig davon, ob diese Gedanken wahr oder falsch sind. Das führt dazu, daß die Gläubigen immer weniger fähig sind. Die Wirklichkeit korrekt einzuschätzen, sie stattdessen zensieren oder verzerren, weil sie alles durch

die Brille ihres Glaubens sehen. ...

An eine unmittelbar bevorstehende Schlacht von Harmagedon zu glauben, in der fast die gesamte Welt vernichtet wird und nur die treuen Zeugen überleben werden (die dann für immer auf einer paradiesischen Erde leben werden), das weicht völlig vom Weltbild der Allgemeinheit ab. Wer so etwas vertritt, setzt sich von der Mehrheit ab. Wer als Zeuge Jehovas alle Lehren seiner Gemeinschaft glaubt, zeigt ein abweichendes Verhalten, wenn man ihn mit einem Außenstehenden vergleicht. Er verhält sich aber sehr angepaßt, vergleicht man ihn mit dem sozialen System innerhalb der Zeugen Jehovas.

Vielfach sind Zeugen nicht in der Lage, sich gegenüber Außenstehenden anzupassen, können dies aber innerhalb der Gemeinschaft recht gut. Von solchen Fällen erfahren Psychologen und Psychiater fast nie etwas. Würde man sie in der Statistik mit erfassen, so wäre die Quote der seelischen Erkrankungen bei Jehovas Zeugen um ein Mehrfaches höher.

(Viele Zeugen leiden an einem ständigen Mißtrauen gegenüber Außenstehenden und versuchen, den Kontakt mit ihnen soweit irgend möglich zu meiden, abgesehen von den normalen Alltagskontakten.) Doch obwohl die meisten in ihrer eigenen Welt gut angepaßt sind und bestens mit ihresgleichen umgehen können, würde die Diagnose recht häufig "paranoide Persönlichkeitsstruktur" lauten.

Dieses Verhalten zeigen die meisten nach außen abgeschlossenen Gruppen. Die klare Trennung in "Wir" und "die anderen" kennzeichnet sogar recht viele soziale Kollektive. Trotzdem sind viele Forscher der Ansicht, darin spiegele sich ein Fehlverhalten, und sehen es dementsprechend als pathologisch an, zumindest als schlecht angepaßt ...

Der Glaube an eine bevorstehende neue Welt kann dazu benutzt werden, eine generell optimistische Grundhaltung zu erzeugen, dem Leben einen Sinn zu geben und sich von den Enttäuschungen des Alltags nicht zu sehr erschüttern zu lassen. Ein anderer Zeuge dagegen kann denselben Glauben als Fluchtmittel benutzen, um den täglichen Problemen zu entgehen, und statt in der Gegenwart in seiner eigenen "neuen Welt" zu leben ...

Die Deutung, die die Zeugen Jehovas der Wirklichkeit geben, wird fortlaufend verstärkt dadurch, daß sie sich gegen soziale Kontakte mit Personen außerhalb der Wachtturm-Organisation aussprechen und dafür zum Umgang mit anderen Zeugen ermuntern. So sind sie fast ausschließlich nur einer einzigen Sichtweise ausgesetzt, der der Wachtturm-Gesellschaft. Alle Fakten, die dieser widersprechen, werden als Teil der "Welt Satans" zurückgewiesen und sind darum wertlos.

Oft wird Glaube mit Rigidität, Starrheit gleichgesetzt. Wer an den Wachtturm-Meinungen und -Ideen festhält und sich nicht durch Vernunft oder Fakten davon so leicht abbringen läßt, gilt als "glaubensstark". ...

Durch eine streng autoritäre Erziehung werden Jehovas Zeugen seit jeher angehalten, feindselige Gefühle zu unterdrücken oder zu sublimieren ...

Wer seine Gefühle auslebt, wird üblicherweise streng zurechtgewiesen und damit gezwungen, die feindseligen Regungen nach innen zu lenken. Die Folge sind Depressionen oder sogar verschleierte Aggressionen. Dringen feindselige Triebe ins Bewußtsein, so ruft das gewöhnlich Schuld hervor. Das wiederum verstärkt die Feindseligkeit nur und führt, wie leicht vorhersehbar, zu noch mehr Depressionen.

Die wenigen Ablenkungen, die sich die Zeugen gestatten, reichen gewöhnlich

nicht aus, um die bei manchen über Jahre hinweg angestaute Feindseligkeit wirkungsvoll zu sublimieren.

"Mißtrauen gegenüber allen Fachleuten ..."

Selbst vom Einsatz von Tranquilizern und Anti-Depressiva bei psychischen Erkrankungen wird abgeraten. ...

Viele Zeugen verlassen sich lieber auf eine "natürliche" Heilung, worunter sie vor allem gute Ernährung, Vitamin- oder Mineralkuren und Ruhe verstehen. Darüber hinaus besteht eine Neigung, etwas nur dann als akzeptabel anzusehen, wenn die Wachtturm-Organisation es ausdrücklich gebilligt hat.

Solange sie sich zu einer Behandlungsform oder Tätigkeit noch nicht geäußert hat, fürchtet man, sie könnte verkehrt sein, und man meint dann meistens, es sei das beste abzuwarten, bis man sicher sei ...

Darüber hinaus besteht ein generelles Mißtrauen gegenüber allen Glaubensfremden und damit praktisch gegenüber allen Ärzten (insbesondere Psychiatern und Nervenärzten) und Psychologen. Ironischerweise kommt auch Mißtrauen gegenüber Ärzten aus den eigenen Reihen häufig vor.

Die wenigen Psychologen und Psychiater unter den Zeugen sind in ihren Möglichkeiten, Hilfe zu leisten, sehr beschränkt. Die allgemeine Reaktion der Zeugen Jehovas ihnen gegenüber lautet oft sinngemäß:

"Warum wird diesem Menschen nicht die Gemeinschaft entzogen dafür, daß er Jehova die Zeit stiehlt, um sich weltliche Weisheit anzueignen statt der höheren Weisheit Gottes? Er vergeudet nur seine Zeit, statt sie zu nutzen, um rechtgesinnten Menschen beizustehen, in Gottes Organisation zu gelangen."

Angesichts dieser Einstellung ist es fraglich, ob mit Zeugen überhaupt das nötige Arzt-Patienten-Verhältnis zustande kommt.

Besser ist es, wenn ein Zeuge seine Ausbildung abgeschlossen hat, bevor er oder sie zu der Gemeinschaft stößt, denn das wird erheblich leichter akzeptiert. Dann herrscht die Ansicht vor, ein Mensch, der einer Ausbildung nachging, während er noch kein Zeuge war, tat dies "in Unwissenheit", wogegen ein aktiver Zeuge, der es tat, während er in der Wahrheit war, "in vollem Bewußtsein seines Fehlverhaltens sündigte". ...

Was daher die Zeugen wirklich denken und fühlen und wie sie handeln, wird nicht nur von der Wachtturm-Organisation unter den Teppich gekehrt und beschönigt, auch die einzelnen Mitglieder tragen dazu bei, daß sich nach außen ein besseres Bild ergibt, als es der Realität entspricht. ...

Damit versucht man natürlich, den Unterschied zwischen dem, wie ein Zeuge sein sollte, und dem, wie er manchmal ist, wegzuerklären.

"Wer sich niemand ungefährdet anvertrauen kann, behält seine Gefühle für sich, und das verstärkt häufig die Depressionen"

Die Zeugen halten hartnäckig an ihren Glaubenansichten fest, auch wenn ihnen himmelschreiende Widersprüche allerorten vor Augen stehen. Dies verschlimmert die bereits vorhandenen inneren Konflikte, die dann dadurch abgeschwächt werden, daß man sie wegerklärt oder indem man sich sowohl von der Außenwelt wie auch von der Welt der Zeugen abkapselt. In jedem Fall führen diese Widersprüche beim Einzelnen zu Zweifeln und inneren Konflikten.

Erzählt ein Zeuge von Fällen schweren Fehlverhaltens und von seinen Schwierigkeiten, damit fertig zu werden, so wird er oder sie von den anderen dann oft als "unreif" abgestempelt, als "jemand, der keine auferbauende Gesellschaft darstellt".

Das führt nicht selten dazu, daß er oder sie von den anderen gemieden wird, die damit offenbar versuchen, ihre eigenen Konflikte zu reduzieren. Diese Zurückweisung schafft dem Zeugen wieder neue Probleme. Häufig spricht er überhaupt nicht mehr über seine Sorgen, oder er vertraut sich nur noch den wenigen einzelnen Zeugen an, denen zu vertrauen er gelernt hat.

Da die Wachtturm-Organisation nur wenige Möglichkeiten läßt, über normale Aggressionen zu sprechen und mit ihnen umzugehen, werden sie meist nach innen gelenkt und rufen dann unter anderem Depressionen, Schuldgefühle, Nervosität und diverse körperliche Beschwerden hervor.

Zu beachten ist, daß ein Zeuge, der seinen Gefühlen, Zweifeln und Fragen über bestimmte Wachtturmlehren Ausdruck verleiht, als "schwach, unreif, ohne Glauben" abgestempelt wird, weil er oder sie "Jehovas Organisation nicht mit ganzer Seele ergeben ist".

Nach einigen negativen Erfahrungen hört er oft auf, seine Sorgen mit den Ältesten oder anderen Zeugen zu besprechen. Wer sich niemand ungefährdet anvertrauen kann, behält seine Gefühle für sich, und das verstärkt häufig die Depressionen und kann sogar zu aggressivem Verhalten führen, nicht selten auch zum Einsatz körperlicher Gewalt.

Die vielen Probleme, die im Lehrgebäude der Zeugen Jehovas enthalten sind, sorgen dafür, daß es unweigerlich zu Konflikten kommen wird ... Mitglied der Gemeinschaft

bleiben dann vor allem jene Menschen, die sich der Abwehrmechanismen Leugnung,

Rationalisierung und Projektion bedienen. ...

Man vergleiche ergänzend auch:

Neumann

Kjell Totland

1960er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

1960.Kommentarserie

Königreichsdienst 1960

1961er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

ZurIndexseite